Bereits im vergangenen Jahr beschloss ich, dass das Jahr 2022 das Jahr meiner Gesundheit werden wird. Mein Gewicht ist durch Corona und eine Verletzung an der Ferse in einen ungesunden Bereich geraten und mein Blutdruck ist entsprechend gefolgt. Mein Job, meine vielen Projekte und die Versorgung meiner Mutter tragen dazu bei, dass ich mich selbst fragte, wo ist Raum für meine Individualzeit? Zugegeben ein wenig Individualzeit in der ich mich ausschließlich um mich kümmern kann, plane ich regelmäßig ein. Aber es ist mir gerade zu wenig und ich möchte mich einfach mal wieder auf mich selbst besinnen.
Ich bin dann mal wieder Pilgern.
Die einzige Strategie die mir mal wieder dazu einfällt ist Pilgern. Das tat mir bereits in früheren Jahren gut und wird es bestimmt auch dieses mal. Bloß auf welcher Strecke? Die Jakobswege kenne ich bereits, aber der Franziskusweg ist mir ebenso fremd wie sein Namensgeber: der heilige Franziskus von Assisi. Von diesem Weg hörte ich bereits im Jahre 2013 von einem Arbeitskollegen, der den Weg pilgerte und auf halber Strecke seine Pilgerreise ebenso aufgab wie kurz danach seinen Job. Dieser Weg weckt meine Neugier.
Auch das der Franziskusweg in Florenz beginnt, der Stadt die ich schon 1990 erkunden wollte, spricht für diesen Weg. Damals tat ich es aus Zeitgründen nicht. Ich möchte mir Zeit lassen. Ich mag der Stadt mit ihrer Geschichte und den Menschen die eine Stadt prägen, wertschätzend begegnen und soviel Zeit widmen, so dass ich sagen kann „Ich konnte es genießen.“
Doch noch bevor es losgeht sind einige Vorbereitungen zu treffen. Ich habe schon lange keine mehrtägige Wanderung mehr gemacht und fürchte, dass ich aktuell nicht genug Kraft und Ausdauer für den Weg habe. So beginne ich bereits 10 Wochen vorher zu wandern und leicht zu joggen, um ein paar Definzite bereits im Vorfeld auszugleichen.
Auch organisatorisches gab es zu vorzubereiten. Wenn ich schon in Rom ankomme, dann will ich auch den Papst sehen und buchte mir beim deutschsprachigen Pilgerzentrum in Rom eine kostenlose Eintrittskarte für die Generalaudienz die jeden Mittwoch um 9 Uhr stattfindet. Außerdem brauche ich einen Pilgerpass, der mich offiziell als Pilger ausweist und diesen habe ich bei . Aber es gibt noch andere Vorbereitungen. So zum Beispiel das Buchen der Audienz beim Papst. Die ist bereits unter gebucht. Auch meinen Pilgerpass habe ich bei dem Pilgerpassbüro PiccolAccoglienza der Diözese Gubbio bestellt.
Jetzt geht’s los.
Habe ich auch wirklich nichts vergessen? Ich verabschiedete mich von Allen die mich im täglichen Leben begleiten und die mir wichtig sind. Mein Rucksack ist mit allem bepackt, was ich erfahrungsgemäß auf meiner Pilgerreise benötigen werde. Und das ist nicht viel.
Abschied ist mir wichtig. Ich möchte die Menschen die mir lieb und wichtig sind in guter Erinnerung mit auf den Weg nehmen. Und ich hoffe, dass ich ebenso in guter Erinnerung bleiben. Wer weiß was auf dem Weg oder in der Zwischenzeit geschehen mag. Arrivederci! Ich freue mich auf ein Wiedersehen.
In den kommenden Wochen bin ich alleine unterwegs und aufgeregt-gespannt, wie ich die Zeit mit mir alleine ohne die Menschen die mich im Alltag begleiten verbringen werde, vor allem wie ich es mir damit wohl gehen mag. Dabei bin ich mir bewusst, dass auch ich im Alltag der mir nahestehenden Menschen eine Lücke öffne. So werden wir alle Wege finden damit umzugehen: Betrauern, Vergessen, Verdrängen oder die Vorfreude genießen. Oder meinen Blog hier verfolgen, um den guten Weg mitzuerleben. Ich nehme auf jeden Fall dankbar alle Eure Wünsche mit auf den Weg.
Loslassen.
Auf dem Weg nach Italien bin ich durch Schweiz gefahren und habe meinen alten Pilger Bruder Harry besucht um mich auch von ihm zu verabschieden. Uns verbindet eine über 40jährige Freundschaft. In 2010 pilgerten wir gemeinsam auf dem Jakobsweg von St. Jean-Pied-de-Port bis ans Jakobsgrab und seitdem hat sich einiges geändert und für jeden von uns begannen neue Lebensabschnitte .
Ich fahre ab Vevey am Genfer See entlang. Als ich Montreux passiere erinnere ich mich an den legendäre Deep Purple Song „Smoke on the Water“, der hier während der Aufnahmen eines neuen Albums entstand. Weiter geht es zum Großen St. Bernhard. Die Anzeigentafel zeigt an, dass der Pass geschlossen ist und neben dem Tunnel sehe ich das Symbol eines rutschenden Autos und zwei Schneeflocken.
„Oha“ dachte ich und hoffte, dass die Straßen frei von Schnee und jeglicher Glätte sein werden. Mit jeder Serpentine die ich dem Pass näher kam, wuchsen meine Katastophenfantasien. Was wäre, wenn jetzt plötzlich Schnee einsetzen würde? Was wenn ich auf der geschlossenen Schneedecke ins Schlingern käme? Dann wäre meine Pilgerreise beendet noch bevor sie begonnen hätte. „Stop!“ Dachte ich in diesem Moment, um aus dem Gedanken-Karussell auszusteigen. Ich entschied, mich erst dann damit auseinanderzusetzen wenn es denn soweit ist. Und aktuell scheint die Sonne und die Straßen sind trocken.
Nach weiteren Serpentinen fahre ich in den Tunnel ein und konnte es nicht fassen, dass ich für die Durchfahrt satte 46 EUR bezahlen durfte. Noch vor ein paar Jahren hätte ich mich lange darüber aufgeregt wie jemand auf die Idee kommen kann diese Summe für die Durchfahrt eines solch schäbigen Tunnels zu verlangen. Der Gedanke kam mir heute auch, jedoch nur kurz, denn dank dieses Tunnels kann ich überhaupt hier langfahren und brauche nicht über eine vereiste Passstraße zu fahren. An diesem Tunnel haben Menschen solange gearbeitet wie meine Eltern an der Entscheidung mich zu zeugen. Der knapp 6 Kilometer lange Tunnel wurde in meinem Geburtsjahr 1964 eröffnet und lässt heute ein paar hunderttausend Autos pro Jahr passieren.
Als ich wieder das Tageslicht erblicke, finde ich mich im Aostatal wieder und schlängele mich hinunter nach Ivrea. Auch wenn ich noch nie in Ivrea ware, so verbinde ich mich mit dieser Stadt durch meine Berufsausbildung. Ich habe nach dem gescheiterten Versuch auf dem Gymnasium in die Oberstufe zu kommen erstmal den wundervollen Beruf des Büromaschinenmechanikers gelernt. Und zwar bei einem Olivetti Vertragshändler. Und Olivetti kam aus Ivrea. Sowohl die Rechner als auch die Schreibmaschinen waren aufgrund ihres ästhetisches und besonderes Design beliebt.
Ich fahre weiter durch die Po-Ebene vorbei an Alessandria, weiter in Richtung Genua. Im Radio wechselt sich Italienische Schlagermusik mit italienischen Radiobeiträgen ab. Ich freue mich über jedes Wort das ich verstehe, nach dem ich seit über einem Jahr versuche mich mit Duolingo der italienischen Sprache anzunähern.
Ich versuche mit meinen Gedanken ganz im Hier und Jetzt zu sein. Das gelingt mir nicht immer, denn es huscht immer wieder der Gedanke durch den Kopf, wo ich mein Wohnmobil denn wohl während der Zeit unterbringen kann. Dabei wünsche ich mir, dass ich es ebenso wie ich es abstelle am Ende meiner Pilgerreise auch wieder auffinde. Sprich, dass es mir weder gestohlen, noch aufgebrochen, noch neue Bewohner bekommt. Harry hatte zu diesem Thema auf jeden Fall einige Gruselgeschichten auf Lager. Die Bilder tauchen immer wieder in meinem Kopf auf.
„Loslassen! Bleib im Hier und Jetzt!“ rede ich mir ein, um mir die Angst, vor dem zu nehmen was gegebenenfalls eintreten mag. Immerhin ist es noch nicht soweit, dass ich mein WoMo für die restlichen Wochen abstellen werde. Irgendwann gebe ich auf. Die Gedanken kommen immer wieder und verschwinden erst als ich sie akzeptiere und mich mit den Botschaften auseinander setze. Also es besteht ein gewisses Risiko, dass meinem WoMo etwas „zustößt“. Diesem Risiko kann ich nun mit einer Strategie begegnen und es entweder akzeptieren, vermeiden, reduzieren oder abwälzen.
Gut, alles bekannt aus meiner langjährigen Erfahrung als Projektleiter. Abgewälzt ist das Risiko schon, denn gegen Diebstahl ist es versichert. Vermeiden lässt sich das Risiko an keiner Stelle, außer ich buche irgendwo einen persönlichen Bewacher und der fällt definitiv aus dem Kostenrahmen. Akzeptieren kann ich das Risiko nicht. Ich würde mich im Eintrittsfall vor Scham im Boden versinken, weil ich nichts zur Vermeidung getan habe. Ich entscheide mich, dass Risiko zu Verringern und das WoMo auf einem gesicherten Parkplatz abzustellen. Gesichert, d.h. mit Zaun, Einfahrtsschranke und Zugangskontrolle. An diesem Gedanken kann ich mich erfreuen und entscheide mich dafür.
Mit diesem Gedanken kann ich loslassen und fahre im Hier und Jetzt nach Genua, wo ich im Hier und Jetzt für zwei Stunden im Stau stehe. Irgendwann geht es weiter und ich fahre mit meinem WoMo nach Massarosa. Dort besuche ich eine Bekannte, bei der ich vorsichtig mein Sprachverständnis üben darf. Nach dem Abendessen verabschiede ich mich und fahre über enge Serpentinen den Berg hinauf nach Montigiano. Die Serpentinen sind so eng, dass ich in der Kurve rangieren muss, um rum zu kommen. Von dieser Anhöhe gibt es einen fantastischen Blick über die vom Mondschein beleuchtete Ebene bis nach Villaregio und das Mittelmeer.