Heute ist der letzte Tag meiner Pilgerreise. Heute schlafe ich ein wenig länger und gehe gegen 8 Uhr zum Frühstück. Welch ein Luxus: Das Frühstück wird im 8. Stock angerichtet und mein Blick reicht über die Dächer von Rom bis zum Petersdom.
Fast hätte ich in Ruhe frühstücken können, doch eine Gruppe deutscher Touristen ist im gesamten Lokal nicht zu überhören. Ich gestehe, dass es mich peinlich berührt. Nicht aufgrund der Lautstärke, aber als einer aus der Truppe lautstark verkündet, er müsse „jetzt zur Sitzung und erstmal kacken“, empfinde ich das als ein wenig unpassend für ein 4 Sterne Hotel. Naja. Vom Dialekt her tippe ich auf das Ruhrgebiet und dort trägt man Herz auf der Zunge und formuliert unmissverständlich was einen gerade bewegt. Und ihn bewegt eben gerade der Gang zum Klo.
Zum Glück bin ich zu diesem Zeitpunkt schon fertig mit meinem Frühstück und starte meine Tour. Mein Gefühl zu dem Straßenlärm und dem geschäftigen Treiben auf den Straßen veränderte sich im Vergleich zu gestern nicht im Geringsten. Ich fühle mich gestresst. Jede Straßenüberquerung egal bei welcher Ampelfarbe wird zur Herausforderung. Mir scheint ich muss einfach nur darauf vertrauen, dass man mich schon sehen wird. Ich beginne bei Santa Croce in Gerusalemme. Dort werden wertvolle Reliquien aus dem Umfeld von Christi Kreuzigung verwahrt, welche die heilige Helena ca. 300 nach Christus nach Rom gebracht hat. Unter anderen sind dort Splitter des Kreuzes an welchem Jesus sein Leben für uns gegeben hat, Dornen der Dornenkrone und ein heiliger Nagel.Ich bin berührt, dass diese Holzsplitter tatsächlich zu diesem Kreuz gehören, welches Jesus selbst zu seiner eigenen Kreuzigung schleppen musste. Unfassbar!
Natürlich könnte man sagen, dass das alles Firlefanz ist. Das Holz könnte von irgendeinem Dachbalken oder ähnlichem stammen. Woher will man das denn auch genau wissen? Mit wissenschaftlichen Methoden lässt sich heutzutage das Alter und der Herkunftsort des Holzes bestimmen. Selbst die darin verendeten Holzwürmer lassen sicherlich weitere Rückschlüsse in der exakten Bestimmung zu, wovon sich Skeptiker vielleicht auch nicht überzeugen lassen. Aber nur mal angenommen es wäre tatsächlich das Kreuz an dem Jesus gekreuzigt wurde wäre. Dann wäre dieses Stück Holz ja quasi ein Zeitzeuge seiner Zeit.
Alleine die Vorstellung berührt mich. Ich mag es einfach zu Glauben. Als Kind glaubte ich an einen Weihnachtsmann, der die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legt und auch daran, dass der Osterhase die Eier legt. Als Schüler glaubte ich das Gymnasium locker zu packen und ein anerkannter Rechtsanwalt zu werden. Und als Erwachsener glaubte ich, dass meine Ehe bis in den Tod halten wird. Die Realität hat mich irgendwann eingeholt und nichts davon bestätigte sich. Dennoch mag ich auch heute noch weiter glauben. Ohne meinen Glauben, ohne die fantastischen Vorstellungen wie Dinge auch abseits der Wissenschaftlichkeit sein könnten, glaube ich wäre mein Leben uninspirierter und hoffnungsloser.
Danach pilgerte ich einen guten Kilometer weiter zur Basilica San Giovanni in Laterano. Dort residierten von ca. 300 nach Christus für circa tausend Jahre lang die Päpste. Da der jeweilige Papst auch gleichzeitig das Amt des Bischofs von Rom inne hat, ist der Lateranpalast auch die Bischofskirche von Rom. Deshalb wird dies auch das Ziel des heiligen Franziskus im Jahre 1209/10 gewesen sein. Er wollte die katholische Kirche nicht mit seinem Orden untergraben. Deshalb wollte er den Papst bitten, die von ihm verfassten Ordensregeln anzuerkennen, um im Sinne des katholischen Glaubens sein Ding zu machen. Da die katholische Kirche quasi einen Dauer-Reformationsbedarf hat, stimmte Papst Innozenz III. zu. Er konnte auch schlecht ablehnen, da der heilige Franz die Ordensregeln allesamt aus dem Evangelium ableitete.
Ich bin beeindruckt von der Größe des Bauwerks und auch von der Sicherheitskontrolle die ich passieren muss, um ehrfürchtig einzutreten. An den Seiten sind überdimensional große Apostelfiguren. Nicht beängstigend aber beeindruckend groß und die Darstellungen in ästhetischer Schönheit. Im Mosaik der Apsis aus dem 13. Jahrhundert fällt auf, dass auf der linken Seite der heilige Franz von Assisi und auf der rechten der heilige Antonius aus Padua ein wenig kleiner nachträglich eingesetzt wurden.
Die dicken Mauern schirmen den Lärm der Straße ab und so wird es hier zu einer Oase der Stille und der Besinnlichkeit. Ich genieße noch einen Moment die Ruhe in diesem Gotteshaus, bevor ich weiterziehe. Ich umrunde den Lateranpalast und wundere mich, dass die achteckige Taufkapelle abseits der Kirche gebaut wurde. Das war vor dem 8. Jahrhundert wohl nötig, da Ungetauften der Zutritt in den Kirchen verwehrt wurde.
Die Via Merulana führt mich auf direktem Weg zu meinem nächsten Ziel, der knapp 2 km entfernten Santa Maria Maggiore. Laut Reiseführer die bekannteste Marienkirche der Welt an der ich gestern in entgegengesetzter Richtung vorbei lief. Mich faszinieren die Mariendarstellungen und gleichzeitig bemerke ich, dass sich meine Kapazität für religiöse Darstellungen so langsam erschöpft.
Als nächstes gehe ich zum Bahnhof, um mich zu informieren, wie ich an ein Zugticket rankommen kann. Es scheint über die Automaten recht einfach zu sein, ein Ticket für einen Zug nach Florenz zu buchen. Das beruhigt mich und ich beschließe mich morgen darum zu kümmern, wenn es eben so weit ist, dass ich mich von Rom trennen mag. So schwer wird es mir vermutlich nicht fallen. Denn vorrangig ist immer noch die Hektik, der Trubel, die vielen Eindrücke, die Massen an Menschen und Touristengruppen, die Andenkenläden mit der ich noch nicht klar komme. Ich sehne mich nach der Einsamkeit der Wälder, den anstrengenden und schweißtreibenden Bergetappen, den kleinen übersichtlichen Dörfern mit nur einer Bar und einem Alimentari. Die vielfältigen Auswahlmöglichkeiten überfordern mich gerade.
Mein nächster Weg führt mich durch die geschäftige Innenstadt. Ich pilgere an zahlreichen Ausgrabungsstätten und Altare della Patria zur Engelsburg. Auch wenn die Ausgrabungen einen tiefen Einblick in das römische Leben vor 2.000 Jahren erlauben, so habe ich dafür gerade keinen Blick. Mein Fokus liegt darauf jetzt zum Petersdom zu gelangen und dabei von möglichst wenig fliegenden Händlern angesprochen zu werden. Ein Händler versucht einen Mann mit dem Spruch „Happy Wife, Happy Life“ zu überreden irgend ein Kettchen zu kaufen. Mir fällt dabei nur ein, dass dies wohl immer noch ein gängiger Glaube zu sein scheint, dass einzig eine glückliche Partnerin auch ein glückliches Leben ermöglicht. Es ist doch an der Zeit, dass sich die Männer von diesen Gedanken emanzipieren und darüber nachdenken welche anderen Wege zum Glück führen können.
Ich betrete nun das Gelände des Vatikan. Der Petersdom bzw. Die Basilika Sankt Peter im Vatikan ist einfach nur groß, mächtig und verdeutlicht wie klein und unbedeutend ich eigentlich bin. Jeder Buchstabe in der Kuppel ist mindestens doppelt so groß wie ich selbst. Der Dom ist groß, ich bin klein. Aber ich fühle mich nicht klein, sondern komme aus dem Staunen kaum heraus. Ein Gedanke der mich gerade auf besondere Weise erfreut ist, dass sich der Innenraum der Kirche alleine durch meine Präsenz verkleinert. In diesem Moment bin ich nicht mehr klein, sondern spüre meine Bedeutsamkeit.
Um meine Pilgerreise nun auch amtlich zu beenden suche ich das Pilgerbüro. In Santiago di Compostella und auch in Assisi war es leicht zu finden. Hier frage ich mich durch und erhalte die Information, dass ich dazu in die Sakristei müsse. Also suche ich in diesem riesengroßen Bauwerk die Sakristei. Ein paar Ordner weisen mir den Weg. In der Sakristei wedele ich mit meinem Pilgerausweis und werde zu einem Sekretär geführt. Dort erhalte ich meine letzen Stempel und meine Pilgerurkunde. Zufrieden verlasse ich den Petersdom, den ich ohne die ganzen Touristenmengen noch sinnlicher hätte genießen können. Die Sixtinische Kapelle mag ich gerne noch besuchen, doch die Warteschlange ist mir deutlich zu lange. Lieber lege ich ich in einen Park nahe der Engelsburg und entspanne noch ein wenig. Die Temperaturen von über 30 Grad machen mir schwer zu schaffen.
Die ganze Zeit hatte ich ein Ziel verfolgt und jetzt habe ich mein Ziel erreicht. Meine Pilgerreise ist zu Ende. Ich habe die Strecke von Florenz nach Rom zu Fuß bewältigt, ich bin dem Heiligen Franz und auch mir wieder ein Stück näher gekommen. Ich habe Last in Form von Körpergewicht abgeworfen, habe Grenzen überwunden, unter teilweise widrigen Bedingungen übernachtet, so wie Franz seinen Grenze überschritt als er den Leprösen umarmte und so seinen Ekel überwand. Er suchte in der Schöpfung den Weg vom Sichtbaren ins Unsichtbare, für mich eine Quelle der Inspiration. Ich hatte ein Vorhaben und habe es selbstwirksam aus eigener Kraft umgesetzt. Ich habe wieder erfahren, dass es einfach auch immer irgendwie weitergeht und es Lösungen gibt, selbst wenn Unklarheiten bestehen. Mein Plan ging auf, ich kam sogar noch vor der geplanten Zeit an, obwohl ich einige extra Kilometer bewältigte und Umwege lief.
Wenn mich nicht doch noch ein Autofahrer übersieht, endet mein Weg hier zu Glück noch nicht und das genieße ich. Auch wenn ich jetzt noch ein wenig ziellos durch Rom streife. Und auch die Ziellosigkeit als Schritt auf einem neuen Weg zu begreifen entspannt mich. Nach der Zielerreichung kommt eben ein Vakuum, das wieder mit neuem Inhalt bzw. Leben gefüllt werden mag und darauf freue ich mich.
Pace e Bene.