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Enthaltsam.

LaVerna

Enthaltsames Leben ohne Eigentum. Ist eine der Regeln die der heilige Franziskus aufstellte. Ich übe mich auf dem Weg in Enthaltsamkeit, habe nur das vermeintlich nötigste dabei und versuche meinen Pilgeralltag in Bescheidenheit zu verbringen. Die Nacht verbrachte ich in der ausgedienten Pizzeria und dank meiner Erschöpfung und dem sonoren Brummen der Coca-Cola Automaten schlief ich recht schnell ein. Um 6 Uhr war ich ausgeschlafen und fühlte mich fit, so dass ich direkt auf den kurzen, dafür steilen und steinigen Weg auf nach La Verna aufbreche. Da ich schon auf ein üppiges Abendessen verzichtete, ließ ich jetzt auch das Frühstück ausfallen. Meine Körpereigenen Reserven werden mich sicherlich die 600 Höhenmeter überwinden lassen.

Auch wenn die Sonne bereits am Himmel stand, so war es im Tal um diese Zeit noch recht frisch. Ich marschierte los und folgte der Wegemarkierung des Franziskusweges. Nach mehr als einem Kilometer wunderte ich mich, dass ich den Fluss noch nicht an der Stelle erreicht habe, wo mein Wanderführer versprach, dass man Schuhe und Strümpfe ausziehen müsse, um durchzuwaten. Egal, so nahm ich die Alternativroute über eine Brücke. Ein Wegweiser versprach, dass es bis La Verna bloß sechs Kilometer sind. Der Weg ist mit großen Steinen gepflastert und windet sich kontinuierlich den Berg hinauf. Bei jedem Schritt kippen meine Wanderstiefel in eine andere Richtung weg. Dennoch kann ich die ersten 200 hm dank meiner Stöcke noch recht mühelos bewältigen. Doch dann wird der Weg noch steiler und steiniger und ich bleibe nach jedem zwanzigsten Schritt erstmal stehen, um zu verschnaufen.

Mein inneres Kind fragt ständig: „ Wann sind wir endlich da?“ Von meinen Eltern enthielt ich häufig die Antwort: „Es dauert nicht mehr lang, gleich sind wir da.“ „Und was ist wenn wir da sind?“ fragt mein inneres Kind weiter und meine Eltern antworteten oft so was wie „Wenn wir da sind gibt es Kuchen!“ Alternativ auch Eiscreme oder Pommes. Je nach Ziel. Irgendwie bin ich so konditioniert, dass es nach jeder Anstrengung auch eine Belohnung gibt. Ich fürchte, so habe ich das auch an meine Kinder weitergegeben. Zumindest die Antwort „Gleich sind wir da“. Dank der Pulsuhr, die mir meine Laufpartnerin als Leihgabe mit auf den Weg gab, kann ich mir selbst jetzt qualifizierte Antworten geben. Ich weiß, es sind noch 200 weitere Höhenmeter aufzusteigen, der Poggio Montopoli ist fast erreicht. Kurz darauf wird der Weg flacher und vor mir ist der Weg sehr matschig.

Erst denke ich, dass auch ein guter Weg durch so manchen Schlamassel führt. Dann denke ich, das schaut so aus als hätten hier Wildschweine ihr Unwesen getrieben. Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da erblicke ich zu meiner Rechten ein prächtiges Exemplar Wildschwein, das mich zum Glück zuerst entdeckt und das Weite sucht. Ich bleibe stehen und blicke in den recht lichten Waldhang. Dort sind unzählige Wildschweine mit kleinen Frischlingen! Mein Puls steigt schlagartig an, mein Blutdruck vermutlich auch. Am Ende muss ich jetzt nicht nur gegen meinen inneren Schweinehund kämpfen sondern unter Umständen noch mit einer Rotte Wildschweine. Ich klopfe meine Wanderstöcke gegeneinander, um mich bei den Wildschweinen bemerkbar zu machen. Dem Herrn sei Dank, dass die Wildschweine meine Geräusche erhören und eins nach dem anderen den Abhang nach oben flüchtet.

Erfreulicherweise ist der Weg jetzt ein wenig flacher und ich komme an eine Straße, die ich überquere. Aus einem nahegelegenen Tümpel höre ich das Gequake von Fröschen. Ich freue mich, denn dir Frösche stellen wohl keine Gefahr dar.

La Ghiacciaia
La Ghiacciaia – Der Kühlschrank im Zauberwald.

Wenn ich gerade so in meinen Körper hineinspüre bemerke ich, dass meine Beine wie aus Pudding sind. Meine Trecking-Stöcke bringen mich nicht mehr voran, sondern verhindern nur noch, dass ich bei meinem schwankenden Gang nicht umkippe. Der Weg führt abermals durch einen verwunschenen, mystischen Zauberwald, der aus dem Zauberer von Oz oder den Hobbits entsprungen sein könnte. Die Felsformationen waren mit Moos überzogen und ergaben bizarre Gebilde. In diesem Umgebung stieg mein guter Weg nur noch unmerklich an und kurz darauf erblickte ich das Kloster La Verna wo der Heilige Franziskus lange Zeit verweilte. Nach einem mühsamen Aufstieg kam ich auf das Klostergelände.

Es ist gerade mal 10 Uhr morgens und ich nutze den Tag, um mich auf dem Gelände umzuschauen und genieße die Fernsicht von 1130m. Es ist umwerfend was es hier alles zu sehen gibt. Kleine Kapellen, Wandgemälde die Geschichten aus dem Leben des Hl. Franz erzählen. Ich besuche die Messe und freue mich, dass zum Eingang „Großer Gott wir loben Dich“ auf italienisch gesungen wird. Es ist ein wahnsinnig entspannter Ort um zu Verweilen und zu Entspannen. Ich bleibe enthaltsam und gönne mir nur einen Caffè und eine Cola.

Um 12 Uhr kann ich mein Mehrbettzimmer beziehen. Ich genieße den Luxus, dass ich der erste bin und mir das Bett aussuchen kann. Ich sichere mir direkt den Fensterplatz und mache mich daran meine Wäsche und mich selbst zu waschen. Danach mache ich mich auf Erkundungstour, verweile auf dem Klosterplatz und lese das Büchlein „Pace e Bene“, welches mir meine Partnerin mit auf den Weg gab. Es finden sich immer mehr Pilger ein.

Um 15 Uhr ist wieder eine Messe mit Prozession der ich folge. Sie führt von der Klosterkirche in die Kapelle der Stigmanta. Die Legende besagt nämlich, dass der heiligen Franz hier in La Verna von einem sechs-flügeligem Engel, einem Seraphin, welcher an Schönheit nicht zu übertreffen war, die fünf Wundmale empfangen hat. Die Wundmale waren genau an jenen Stellen, an welchen Jesus seine Wundmale bei der Kreuzigung hatte. Was den Schluss zulässt, dass Franz dadurch ein ebenbürtiger Nachfolger von Jesus Christus sei. Natürlich gibt es andere Stimmen die vermuten lassen, dass sich Franz die Stigmata in einem Zustand der Ekstase selbst beigebracht hat, aber die Story mit dem Engel ist natürlich irgendwie eindrucksvoller.

Bis zum Abendessen bleibe ich weiter enthaltsam und komme ins Gespräch mit anderen Pilger:innen. Es ist ein tolles Gefühl, das Ziel früh zu erreichen und den Rest des Tages zu genießen. Es ist auch ein tolles Gefühl, zu spüren wie die Rückenschmerzen langsam nachlassen.

Ich war heute mit der Nahrungsaufnahme enthaltsam und freue mich gleich auf das Abendessen. Ich war enthaltsam mit Ärger und Frustration über mich, habe die Anstrengung bewusst wahr- und angenommen. ich habe enthaltsam ein Mehrbettzimmer belegt und gerade genieße ich ganz bewusst die letzte Sonnenstunde.

Heute bin ich nur die 660 Höhenmeter über eine Strecke von 8,5 Km nach La Verna aufgestiegen.

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