Bereits in Florenz habe ich in einer Kirche gebetet und bitte um Schutz vor Schmerz und Krankheit und einen sicheren Verlauf auf dem Pilgerweg. Meine Liebsten schließe ich beim Beten ins Gebet ein und wünsche, dass sie während meiner Abwesenheit wohl behütet sind.
In Pontassieve und auch im benachbarten San Francesco fand ich keinen geeignete Übernachtungsplatz und so lief ich ein Stück der kommenden Etappe. Hinter dem Weiler Nippozano fand ich auf dem Parkplatz der Kapelle einen geeigneten Platz. Obwohl die Wetterapp nächtliche Temperaturen von 12 Grad Celsius vorhersagte, was erstmal gemütlich klang, war es am Boden doch recht kühl in meinem Schlafsack. Da hätte ich mir meinen flauschigen Frotteeschlafanzug herbeigewünscht. Zugunsten des Gewichts blieb er daheim. Der Mond schien helle, irgendwo schienen sich Leute zu unterhalten, Vögel zwitscherten mir ein Schlaflied, in der Ferne starten Flugzeuge. Ich bin fasziniert wie viele Geräusche ich in der sonst recht stillen Nacht wahrnehmen kann.
Am morgen war alles ein wenig klamm. Ich warte bis die Sonnenstrahlen die Sachen trocknen und marschiere los. So richtig frisch fühle ich mich nicht und blicke ehrfürchtig in den Reiseführer. Vor mir liegen 800-900 Höhenmeter. Ich futtere noch fix eine Banane und ziehe los. Nach wenigen Kilometern komme ich an einem Rastplatz vorbei. Wäre ich am gestrigen Abend noch ein bisschen weitergelaufen hätte ich hier eine schickere und solidere Übernachtungsmöglichkeit gehabt.
In weniger als einer Stunde war ich in Diaccetto, wo ich eine Neubausiedlung passiere. Die Reihenhäuser werden hier für €112.000 angeboten. Aufgrund des Leerstandes schaut es jedoch eher wie ein gescheitertes Bauprojekt aus. Der Weg verläuft bis Ferrano einigermaßen eben und steigt dann kontinuierlich an. Nach drei Stunden gönne ich mir eine Pause und entspanne rustikal auf ein paar frisch gefällten Baumstämmen. Während ich auf den Baumstämmen sitze sehe ich wie meine Wade ein eigentümliches Eigenleben führt. Unterschiedliche Muskelregionen zucken, als würden sie eine Melodie spielen. Vielleicht „Dieser Weg wird kein leichter sein!“
Die Steigungsstrecken zehren an meinen Kräften. All meine „Ich kann nicht mehr“ Rufe verhallen im menschenleeren Wald. Ich bete, um zusätzliche Kraft. Ich versuche die verbleibende Steigung zu relativieren, zerlege die restlichen 200hm in vier mal meinen Hausberg hoch und meine innere Stimme spornt mich mit „Du schaffst das!“ Rufen an. Irgendjemand hat meine Gebete erhört und mir die Kraft gegeben. Um 12:00 erreiche ich Consuma und mache erstmal Rast in einer Bar.
Von Consuma nach Stia.
Die nächste Etappe führt nach Stia und Stia liegt wieder am Arno. Also unten im Tal. Ich dachte mir, dass ich diese 15km noch mühelos bewältigen kann, denn es ja eigentlich nur noch bergab. Also mache ich mich auf den anfangs gut ausgeschilderten Weg. Zuerst nach Gualdo. Dort gibt es einen Brunnen, an dem ich meine Wasservorräte auffülle. Danach führt der Weg über ein paar wildromantische Bachläufe. Hier wäre der ideale Platz für ein erfrischendes Bad. Aus Zeitgründen verzichte ich, denn ich mag gerne noch in Stia ein Zimmer bekommen.
So einfach wie vermutet verlief der Weg nicht. Ich verzweifele an der Wegeführung. An ein und demselben Hang verlief der Weg erst steil bergauf und auf Geröll steil bergab und das wiederholt sich mehrfach. Mit jedem Anstieg verliere ich an Kraft und muss immer häufiger Gehpausen einlegen. Ich habe zu nichts mehr Lust, muss immer intensiver auf mich einreden, dass wenn ich mich nicht beeile wohl jede Pizzeria geschlossen sein wird und es auch mit dem Zimmer schlecht stünde. Dennoch brauche ich im Wald eine ausgiebige Pause und hocke mich auf den trockenen Waldboden und bete, dass ich noch die Kraft finde die letzten Kilometer zu bewältigen.
Beten kann ich auf unterschiedliche Art und Weise. Entweder ich bediene mich eines Standards wie zum Beispiel dem „Vater Unser“. Dann brauche ich mir erstmal keine großen Gedanken zu machen, denn es enthält auch einige schlüssige weltliche Passagen wie z.B. „..unser tägliches Brot gib‘ uns heute und vergib‘ uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…“ Das sind ja durchaus sinnvolle Bitten, dass ich täglich etwas zu Essen habe, sich selbst reflektiert was an heutigen Tag nicht so toll gelaufen ist und den Menschen zu verzeihen, die uns selbst gegenüber ein wenig über die Stränge geschlagen haben.
Wenn ich frei bete, dann bitte ich um etwas. Dann reflektiere ich darüber was ich brauche, was mir wichtig ist, was ich von mir selbst, von einem oder mehreren anderen erwarte. Die Bewusstwerdung dessen hilft mir im Alltäglichen ungemein. Nun wünsche ich mir konkret Kraft und Stärke für die letzten Kilometer. Dadurch mobilisiere ich verborgene Reserven, denn ich trete mit mir selbst in einen Dialog. Ich bete „Herr, gib‘ mir Kraft und Stärke“ und umgehen erhalte ich eine Antwort „Du hast die Kraft und ich habe das Vertrauen, dass Du es schaffen wirst!“ Daraufhin bedanke ich mich und laufe Kraft des Gedankens, dass ich es schaffen werde weiter.
Die letzten Kilometer nach Stia zogen sich wie Kaugummi. Ich pilgerte an einem Wohnmobilstellplatz vorbei. Für den Fall der Fälle wäre dies schonmal ein geeigneter Lagerplatz für die Nacht. Das entspanne mich und ich suche erstmal eine Pizzeria auf. Dort verzehre ich einen Salat mit Thunfisch und ein paar Ravioli, um die Energie zu bekommen, die ich für die kommende Etappe benötige. In der Pizzeria gesellt sich Bettina vom Bodensee zu mir. Wir tauschen uns über unsere Pilgermotive und unsere bisherige Erfahrung aus.
Anschließend kümmere ich mich um ein Zimmer und freue mich, dass ich bei La Guardia noch eines für 40€ ergattern kann. Mein Bedürfnis nach Körperhygiene ist dermaßen groß, dass ich mich total über die heiße Dusche freue. Daheim kann ich mich jederzeit Duschen. Es ist nichts besonderes. Hier auf dem Weg schon. Ich denke man sollte das Alltägliche nicht unbedingt als Selbstverständlich hinnehmen, sondern auch dem Alltäglichen immer mit Dankbarkeit begegnen.
Die Länge der heutigen Etappe von Pontassieve über Consuma nach Stia beträgt knapp 32km mit 1.300 Höhenmeter.