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Frieden.

Eremo della Casella

Meine Nacht im Schlafsaal war angenehm. Erst in den Morgenstunden waren die Vitalgeräusche der vier anderen Männern und der einen Frau wahrnehmbar. Einer stach besonders hervor, denn er konnte synchron Schnarchen und Pupsen sowie Grunzen und dabei erstaunlich laut atmen. Die ersten kruschpelten auch schon so ab 5 Uhr herum. Ich versuchte noch weiter zu ruhen. Ich habe immer noch keine Klarheit welchen Weg ich einschlagen werde. Jeder Reiseführer hat einen anderen Routenvorschlag. Ich denke ich werde wieder der Markierung folgen und lasse mich überraschen wohin sie mich führen wird.

Ich erhalte eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter meines Smartphones und erfahre, dass meine Mutter vergangenen Nacht ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Verdammt! Denke ich mir. Was ist da los? Ich spüre wie mein ganzer Körper in Alarmbereitschaft ist. Der Frieden, den ich gestern noch in mir trug wandelte sich in Unfrieden. Ich brauche zunächst einmal Klarheit was los ist und rufe beim Krankenhaus an. Dort erfahre ich lediglich, dass ich in einer Stunde nochmal abrufen soll.

Ich bin in Aufruhr und denke bereits über Plan B nach. Notfalls müsste ich meinen Pilgerweg beenden, mit dem Taxi nach Florenz fahren und mit dem nächsten Flieger heimfliegen. Worst Case! Ich versuche mich selbst zu befrieden. Ich denke es ist verständlich, dass ich beunruhigt bin. Auf einer Skala von 1-10, wobei 10 maximal beunruhigt ist versuche ich mich einzuordnen. Wenn ich bedenke, dass meine Mutter alleine im letzten halben Jahr ca. sechsmal mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus kam und spätestens am darauffolgenden Tag wieder entlassen wurde, entspanne ich ein wenig und ordne mich auf der Skala so bei 4 ein. Was mir dennoch fehlt ist die Klarheit.

Ich gehe zum Frühstück. Der Tisch sieht sehr übersichtlich aus und mir scheint ich darf mich weiter in Enthaltsamkeit üben. Es gibt zwei Zwieback, zwei Kekse, Erdbeermarmelade, Nusscreme, Honig und Butter. Dazu kann ich aussuchen, ob ich Kaffee oder Tee haben möchte. Ich wähle Kaffee. Danach packte ich meine Sachen und pilgere los.

Ich entscheide mich für den Weg, den der heilige Franz 1224 in schlechtem Gesundheitszustand lief, um zurück nach Assisi zu kommen. Ich lief erstmal den Berg hinunter nach Chiusi della Verna, durchquerte das Tal und steig auf der anderen Seite zum Monte Foresto wieder hinauf. Frieden trug ich gerade keinen in mir. Die Gedanken was mit meiner Mutter sein könnte blockieren mein Vorwärtskommen. Franz hatte den Weg gewählt sich von seinem Vater in harter Konfrontation loszusagen und hatte weder Frau noch Kinder. So lässt es sich leicht in Frieden leben, wenn man nur seinen eigenen Regeln folgt. Mein Weg ist an dieser Stelle jedoch ein anderer.

Und aktuell geht mein Weg mal wieder so steil nach oben, dass ich ihn noch nicht mal mit einem e-Mountainbike fahren könnte. Ich kämpfe mich Meter um Meter den Berg nach oben und dabei fällt mir auf, dass ich schon lange keine Markierung mehr gesehen habe. Der im Reiseführer beschriebene Forstweg endet vor einen Nadelwald.

Gut, denke ich, dann versuche ich erstmal Klarheit zur Lage daheim zu bekommen. Ich erfahre, dass meine Mutter wieder daheim ist und telefoniere kurz mit ihr. Jetzt wo ich klar sehe was meine Mutter betrifft, kümmere ich mich wieder um meine unklare Lage vor Ort. Ich bin verzweifelt und schreie laut in den Wald „Herr, sende ich mir ein Zeichen!!!“ Kurz darauf schickte mir der Herr ein GPS Signal auf mein Mobiltelefon und ich wurschtele mich durch bis zum nächsten Weg. Ich bin dankbar, für Googles Unterstützung.

Auf klar markierten Weg pilgere ich in Frieden weiter zur Eremo della Casella auf 1.241m über NN. Ein herrliches Fleckchen Erde friedvoll, ruhig mit Fernblick bis ins Tibertal. Hier verweile ich, mache eine Pause, genieße die Stille, den Fernblick und einen Apfel. Die Eremo della Casella ist offen. Sie besteht aus einem schlichten Kirchlein und angebautem Haus, das mit Tischen und Stühlen eingerichtet ist. Auch das wäre ein geeignetes und willkommenes Nachtlager.

Für heute müsste es das mit den Steigungen gewesen sein. Auf einer bequemen, breiten Forststraße pilgere ich in kontinuierlichem Tempo bergab. Beim Weg brauche ich mich kaum zu konzentrieren, nicht auf jeden Schritt achten. Meine Stöcke geben den Takt vor klick-klack, klick-klack. Wie in Trance zieht der Weg unmerklich an mir vorbei. Das Gewicht des Rucksacks spüre ich kaum. Es geht einfach immer so weiter. Kennst Du das aus Deinem Alltag? Alles läuft irgendwie und die Zeit vergeht. Als ich in Caprese Michelangelo ankomme, kann ich mich kaum an die vergangenem 10 km erinnern. Zügig zogen sie völlig unspektakulär vorbei. Die intensiven, schwierigen Strecken, wo ich an meine Grenzen stieß und mich verlief, verzweifelt war und nicht mehr weiter wusste, die sind mir noch sehr wohl in Erinnerung. Das bewusste Gehen jedes Schrittes, das Rückblicken auf Geschafftes und das Genießen der Aussichten das bleibt in Erinnerung.

Die Wetterlage ist gerade ein wenig unbestimmt und in Caprese kommen die ersten Regentropfen. Ich will vor dem Regen flüchten und steuere das Geburtshaus von Michelangelo. Auf dem Weg dorthin spricht mich eine blonde Frau auf Englisch an. Sie pilgert ebenfalls. Zu einem längeren Gespräch habe ich aufgrund des einsetzenden Regens gerade keine Lust und besichtige das Geburtshaus von Michelangelo. Außer dem Haus selbst und einem Dokumentationsfilm, sind einige Skulpturen von zeitgenössischen Künstlern und auch Kopien einiger Statuen von Michelangelo ausgestellt. Ich bin beeindruckt von deren ästhetischer Schönheit.

Ich weiß noch nicht wo ich die Nacht verbringen kann und mache in Caprese erstmal einen Rundgang. Irgendwie entdecke ich spontan keinen geeigneten Übernachtungsplatz. Ich laufe hin und her und mag erstmal in einer Pizzeria meinen Hunger stillen. Aber dort erfahre ich das Dienstag nachmittags die Küche kalt bleibt.

So pilgere ich vom Ortsausgang zurück in Richtung Michelangelos Geburtshaus, wo sich das Gasthaus Buca di Michelangelo befindet. Dort trinke ich erstmal ein Bier. Der Wirt bietet mir ein Zimmer an. Erst für €50, nach meinem hilfesuchenden Blick für €40. Ich gehe auf sein Angebot ein, dusche und gehe zum Abendessen. Dort sehe ich auch die blonde Frau, eine Dänin und wir kommen ins Gespräch. Sie startete ihre Pilgerreise vor Jahren direkt an ihrer Haustüre in Dänemark und hat bereits Deutschland und Österreich durchquert. Sie pilgert jedes Jahr ca. zwei Wochen und möchte in diesem Jahr nach Assisi.

Mit Freude genieße ich das, was ich heute geschafft habe und auch mein Einzelzimmer kann ich genießen. Mein Körper hat sich so langsam mit dem Gewicht des Rucksacks arrangiert und ich lasse den Abend in Frieden ausklingen.

Pace e Bene.

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Enthaltsam.

LaVerna

Enthaltsames Leben ohne Eigentum. Ist eine der Regeln die der heilige Franziskus aufstellte. Ich übe mich auf dem Weg in Enthaltsamkeit, habe nur das vermeintlich nötigste dabei und versuche meinen Pilgeralltag in Bescheidenheit zu verbringen. Die Nacht verbrachte ich in der ausgedienten Pizzeria und dank meiner Erschöpfung und dem sonoren Brummen der Coca-Cola Automaten schlief ich recht schnell ein. Um 6 Uhr war ich ausgeschlafen und fühlte mich fit, so dass ich direkt auf den kurzen, dafür steilen und steinigen Weg auf nach La Verna aufbreche. Da ich schon auf ein üppiges Abendessen verzichtete, ließ ich jetzt auch das Frühstück ausfallen. Meine Körpereigenen Reserven werden mich sicherlich die 600 Höhenmeter überwinden lassen.

Auch wenn die Sonne bereits am Himmel stand, so war es im Tal um diese Zeit noch recht frisch. Ich marschierte los und folgte der Wegemarkierung des Franziskusweges. Nach mehr als einem Kilometer wunderte ich mich, dass ich den Fluss noch nicht an der Stelle erreicht habe, wo mein Wanderführer versprach, dass man Schuhe und Strümpfe ausziehen müsse, um durchzuwaten. Egal, so nahm ich die Alternativroute über eine Brücke. Ein Wegweiser versprach, dass es bis La Verna bloß sechs Kilometer sind. Der Weg ist mit großen Steinen gepflastert und windet sich kontinuierlich den Berg hinauf. Bei jedem Schritt kippen meine Wanderstiefel in eine andere Richtung weg. Dennoch kann ich die ersten 200 hm dank meiner Stöcke noch recht mühelos bewältigen. Doch dann wird der Weg noch steiler und steiniger und ich bleibe nach jedem zwanzigsten Schritt erstmal stehen, um zu verschnaufen.

Mein inneres Kind fragt ständig: „ Wann sind wir endlich da?“ Von meinen Eltern enthielt ich häufig die Antwort: „Es dauert nicht mehr lang, gleich sind wir da.“ „Und was ist wenn wir da sind?“ fragt mein inneres Kind weiter und meine Eltern antworteten oft so was wie „Wenn wir da sind gibt es Kuchen!“ Alternativ auch Eiscreme oder Pommes. Je nach Ziel. Irgendwie bin ich so konditioniert, dass es nach jeder Anstrengung auch eine Belohnung gibt. Ich fürchte, so habe ich das auch an meine Kinder weitergegeben. Zumindest die Antwort „Gleich sind wir da“. Dank der Pulsuhr, die mir meine Laufpartnerin als Leihgabe mit auf den Weg gab, kann ich mir selbst jetzt qualifizierte Antworten geben. Ich weiß, es sind noch 200 weitere Höhenmeter aufzusteigen, der Poggio Montopoli ist fast erreicht. Kurz darauf wird der Weg flacher und vor mir ist der Weg sehr matschig.

Erst denke ich, dass auch ein guter Weg durch so manchen Schlamassel führt. Dann denke ich, das schaut so aus als hätten hier Wildschweine ihr Unwesen getrieben. Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da erblicke ich zu meiner Rechten ein prächtiges Exemplar Wildschwein, das mich zum Glück zuerst entdeckt und das Weite sucht. Ich bleibe stehen und blicke in den recht lichten Waldhang. Dort sind unzählige Wildschweine mit kleinen Frischlingen! Mein Puls steigt schlagartig an, mein Blutdruck vermutlich auch. Am Ende muss ich jetzt nicht nur gegen meinen inneren Schweinehund kämpfen sondern unter Umständen noch mit einer Rotte Wildschweine. Ich klopfe meine Wanderstöcke gegeneinander, um mich bei den Wildschweinen bemerkbar zu machen. Dem Herrn sei Dank, dass die Wildschweine meine Geräusche erhören und eins nach dem anderen den Abhang nach oben flüchtet.

Erfreulicherweise ist der Weg jetzt ein wenig flacher und ich komme an eine Straße, die ich überquere. Aus einem nahegelegenen Tümpel höre ich das Gequake von Fröschen. Ich freue mich, denn dir Frösche stellen wohl keine Gefahr dar.

La Ghiacciaia
La Ghiacciaia – Der Kühlschrank im Zauberwald.

Wenn ich gerade so in meinen Körper hineinspüre bemerke ich, dass meine Beine wie aus Pudding sind. Meine Trecking-Stöcke bringen mich nicht mehr voran, sondern verhindern nur noch, dass ich bei meinem schwankenden Gang nicht umkippe. Der Weg führt abermals durch einen verwunschenen, mystischen Zauberwald, der aus dem Zauberer von Oz oder den Hobbits entsprungen sein könnte. Die Felsformationen waren mit Moos überzogen und ergaben bizarre Gebilde. In diesem Umgebung stieg mein guter Weg nur noch unmerklich an und kurz darauf erblickte ich das Kloster La Verna wo der Heilige Franziskus lange Zeit verweilte. Nach einem mühsamen Aufstieg kam ich auf das Klostergelände.

Es ist gerade mal 10 Uhr morgens und ich nutze den Tag, um mich auf dem Gelände umzuschauen und genieße die Fernsicht von 1130m. Es ist umwerfend was es hier alles zu sehen gibt. Kleine Kapellen, Wandgemälde die Geschichten aus dem Leben des Hl. Franz erzählen. Ich besuche die Messe und freue mich, dass zum Eingang „Großer Gott wir loben Dich“ auf italienisch gesungen wird. Es ist ein wahnsinnig entspannter Ort um zu Verweilen und zu Entspannen. Ich bleibe enthaltsam und gönne mir nur einen Caffè und eine Cola.

Um 12 Uhr kann ich mein Mehrbettzimmer beziehen. Ich genieße den Luxus, dass ich der erste bin und mir das Bett aussuchen kann. Ich sichere mir direkt den Fensterplatz und mache mich daran meine Wäsche und mich selbst zu waschen. Danach mache ich mich auf Erkundungstour, verweile auf dem Klosterplatz und lese das Büchlein „Pace e Bene“, welches mir meine Partnerin mit auf den Weg gab. Es finden sich immer mehr Pilger ein.

Um 15 Uhr ist wieder eine Messe mit Prozession der ich folge. Sie führt von der Klosterkirche in die Kapelle der Stigmanta. Die Legende besagt nämlich, dass der heiligen Franz hier in La Verna von einem sechs-flügeligem Engel, einem Seraphin, welcher an Schönheit nicht zu übertreffen war, die fünf Wundmale empfangen hat. Die Wundmale waren genau an jenen Stellen, an welchen Jesus seine Wundmale bei der Kreuzigung hatte. Was den Schluss zulässt, dass Franz dadurch ein ebenbürtiger Nachfolger von Jesus Christus sei. Natürlich gibt es andere Stimmen die vermuten lassen, dass sich Franz die Stigmata in einem Zustand der Ekstase selbst beigebracht hat, aber die Story mit dem Engel ist natürlich irgendwie eindrucksvoller.

Bis zum Abendessen bleibe ich weiter enthaltsam und komme ins Gespräch mit anderen Pilger:innen. Es ist ein tolles Gefühl, das Ziel früh zu erreichen und den Rest des Tages zu genießen. Es ist auch ein tolles Gefühl, zu spüren wie die Rückenschmerzen langsam nachlassen.

Ich war heute mit der Nahrungsaufnahme enthaltsam und freue mich gleich auf das Abendessen. Ich war enthaltsam mit Ärger und Frustration über mich, habe die Anstrengung bewusst wahr- und angenommen. ich habe enthaltsam ein Mehrbettzimmer belegt und gerade genieße ich ganz bewusst die letzte Sonnenstunde.

Heute bin ich nur die 660 Höhenmeter über eine Strecke von 8,5 Km nach La Verna aufgestiegen.

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Danken.

Einsiedelei Camaldoli

Heute bin ich vor allem mal eins: Dankbar. Ich weiß, der Dank kommt üblicherweise erst zu Schluss, aber ich denke es ist gerade mal dran. Ich möchte allen danken, die mich mental auf dem Weg begleiten, mir ein gutes Gelingen, starke Muskeln und Durchhaltevermögen wünschen. Meiner Mutter danke ich, für alles was sie für mich getan hat und auch für ihre Zweifel. Diese Zweifel haben mich schon manches Mal in meinem Leben vor Übermut geschützt und so konnte ich eine ausgewogenen Balance von Risikobereitschaft und Achtsamkeit entwickeln. Denke ich zumindest. Ich möchte auch jenen danken, die mir Grenzen setzten oder mich frustrierten, denn ohne jene wäre ich nicht auf dem Weg. Na, und irgendwie bin ich selbst ja einer von jenen.

Ich übernachte in meiner Hängematte und wache ohne Wecker auf. Nach dem mir das Holländerinnen-Trio gestern beim Abendessen die Sacro Eremito di Camaldoli schmackhaft machte, räume ich meine sieben Sachen zusammen, nehme in der nahegelegenen Bar einen Espresso als Frühstück und zog los. Es sind direkt 300 hm zu überwinden. Der Weg führt durch ein wildromantisches Tal mit Bachlauf, bemoosten Felsen und Bäumen. Beim Weg habe ich die Wahl: ein Asphaltsträßchen oder den steileren, steinigen Waldweg. Der Waldweg erfordert Trittsicherheit, ist anstrengender und dafür kürzer, während das Sträßchen mit konstanter Steigung nach oben führt. Ich entscheide mich abzuwechseln, bin jedoch überwiegend auf der Straße. Die Ruhe die durch Vögelgezwitscher unterbrochen wird genieße ich. Eine Joggerin kommt mir mit Babyanhänger entgegen. Ich bin überrascht, dass ich schon nach knapp einer Stunde die Sacro Eremito erreiche.

Ich mache einen Rundgang durch die Sacro Eremito und genieße weiterhin die Ruhe. Eine Pilgergruppe sitzt im Garten der Eremita und singt zu Gittarrenklängen. Als ich die Eremita verlasse, ist es weniger ruhig. Eine Gruppe von Männern mit Tarnkleidung, orangenen Westen und Geländewagen quatscht wild durcheinander. Eine Jugendgruppe wartet und nacheinander steigen ein paar Jugendlichen zu den Männern in Tarnkleidung in deren Geländewagen. Dann fahren sie los. Mir scheint es geht hier um Walderfahrung, Tierbeobachtung oder ähnliches.

Ich breche auf und stelle nach kurzer Zeit fest, dass die größte Gefahr im Wald nicht die Wölfe oder Wildschweine sind sondern die Mountainbiker, die mir auf einem schmalen, gerölligen, steilen Pfad entgegenkommen. Zum Glück konnte ich rechtzeitig mit einem Rettungssprung ausweichen. Ich bin dankbar, dass die Mountainbiker sich durch lautes Rufen ankündigen und ich in diesem Moment aufmerksam war.

Dankbar kann ich zunächst in Stille sein. Wenn ich mir bewusst werde, wofür ich gerade dankbar bin, spüre ich wie sich meine Stimmung aufhellt und sich meine Muskulatur entspannt. Vielleicht bin ich dankbar für eine Intuition, vielleicht dankbar für meine Selbstdisziplin durch die ich meine körperliche Fitness aufgebaut habe, vielleicht bin ich dankbar für einen Brunnen mit frischem, kühlen Wasser, vielleicht auch für einen Regenschauer, der die Natur wässert damit Pflanzen und Wiesen aufblühen. Ich bemerke ein leichtes Grinsen, eine Fröhlichkeit zieht in mir auf. Wenn ich einem besonderen Menschen dankbar bin, dann profitieren beide, wenn ich dem anderen Menschen meine Dankbarkeit ausspreche. Das besteht vielleicht nur darin, dass ich „Danke!“ sage oder aber, dass ich ganz konkret benenne, wofür ich gerade dankbar bin. Gerade wird es mir wichtig meine Mutter anzurufen und ihr zu sagen wie dankbar ich für ihre Fürsorge bin.

Ich pilgere durch einen mystischen, heiligen Wald. Wenn ich meinen Blick durchs frische Grün streifen lasse, gesellt sich zum Schmerz der Anstrengung ein unbeschreibliches Glücksgefühl und ich bin dankbar, genau das hier und jetzt zu erleben. Dankbar bin ich auch den Menschen die den Weg markiert haben. Das gibt mir Klarheit und Sicherheit. So komme ich mit entspannter Leichtigkeit ans Ziel. Dadurch bin ich auch weniger genervt, da ich nicht dauernd den Pilgerführer rauskramen muss, um nachzuschauen und zu rätseln wie es weitergehen könnte und an welcher Mülltonne ich wohin abbiegen muss. „Nun geht es wieder in Kurven bergan, bis wir in einer Serpentine bei Müllcontainern nach rechts auf eine kleine Straße abbiegen.“ So steht es in dem Reiseführer geschrieben und ich kann nur hoffen, dass sich seit dem Druck des Reiseführers der Standort der Müllcontainer nicht verändert hat.

Wegweiser

Der Franziskusweg verläuft über dem Bergkamm bis auf eine Höhe von 1.350m über NN. Der Weg ist gleichzeitig der europäische Fernwanderweg E1, welcher über den Feldberg nach Frankfurt hierher verläuft. Da fühle ich direkt heimatlich verbunden.

Um 14 Uhr bin ich in Badia Prataglia und treffe am Dorfplatz die Lehrerin, die ich gestern kennenlernte. Wir reden miteinander. Sie hat ihre Etappe für heute beendet und ihr Zimmer bezogen. Anschließend esse ich den Rest des Pecorino, dem italienischen Käse aus Schafsmilch, den ich in meinem Gepäck noch finde und mache auf einer Bank kurz Mittagsschlaf. Ich fühle mich noch fit und mache mich weiter auf meinem guten Weg.

Die nächste Etappe nach Rimbocchi sollte doch ein Klacks seins. Gerade noch mal 400 Höhenmeter auf den kommenden 10km. Aber die hatten es in sich. Nachdem es erstmal 50 Höhenmeter abwärts ging, schlängelte sich der Weg den Berg hinauf. Ich machte einige Pausen, um den Anstieg zu meistern. Der Scheitelpunkt lag bei 1.100m ü.N.N. und dann ging es direkt für die nächsten drei km ebenso steil bergab. Ich bin dankbar für meine Stöcke, denn sie geben mir Halt und Schutz vorm Abrutschen auf dem gerölligen Untergrund. Ich genieße die traumhaften Ausblicke: Eine bewaldete Hügellandschaft soweit das Auge reicht.

Hinter Frassineta steigt es nochmal kurz um 100 hm an, bevor der 4km lange und steile Abstieg nach Rimbocci folgt. Ein falscher Tritt und ich würde den Hang gnadenlos und unaufhaltsam hinunterrutschen. Meine Aufmerksamkeit liegt bei jeden Tritt und gleichzeitig schweift mein Blick in die nahe Umgebung, damit mir bloß keine Wegemarkierung entgeht.

Ich freue mich schon auf Rimbocchi, denn der Wanderführer verspricht dort eine Bar. Der Gedanke an ein kühles Erfrischungsgetränk motiviert mich weiterzulaufen. Unterwegs kommt mir ein alter Fiat Panda Trecking entgegen. Ich bin echt erstaunt, dass diese kleine, alte Karre mit maximal 45PS diese Strecke bewältigen kann. Jeder tiefergelegte 3er BMW hätte garantiert nach 100m sein Fahrwerk ruiniert. Der Mann stoppt kurz und fragt, ob ich heute noch bis La Verna will. Ich verneine und antworte, dass mein Tagesziel in Rimbocchi liegen wird. Er wünscht mir noch einen guten Weg und fuhr weiter.

Das letzte Wegstück übertrifft noch einmal alles steile und abschüssige was ich den ganzen Tag gelaufen bin. Dafür war ich kurz darauf in Rimbocchi, Ich freute mich, den die Tür zur Bar stand offen. Ich ging hinein und sah – Nichts! Außer ein paar Getränkeautomaten, ein paar Tischen und Bänken. Ich sah eine eisgekühlte Coca-Cola und wollte direkt ein Getränk ziehen. Doch ich hatte gerade noch drei 10 ct Münzen. Damit ist mein Traum gerade geplatzt und ich werde weiter nur Wasser konsumieren. Dennoch bin ich dankbar für diesen Tag und dies Lektion. Ab jetzt werde ich immer ein paar Münzen im Portemonnaie behalten.

Heute lief ich 20km über 950 Höhenmeter vom Kloster Camaldoli nach Rimbocchi.

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Chillen.

Haengematte

Heute habe ich mir vorgenommen nur den Weg bis zum Manastero di Camaldoli zu pilgern. Die Anstrengungen des gestrigen Tages stecken mir noch zu sehr in den Knochen. Jeder Anstrengung sollte auch die Entspannung und die Erholung folgen. Nur so können meine Akkus wieder mit neuer Energie geladen werden und sich mein Körper an die neue Belastung anpassen. Also ist es mir heute nach Chillen. Da stelle ich mir die Frage: „Wie oft passiert es mir im Alltag, dass ich denke da geht noch was und mich überlaste ohne dabei bewusst nach innen zu spüren und festzustellen, dass eigentlich keine Kapazität mehr vorhanden ist?“

Ich verlasse meine Bleibe und gönne mir auf dem Marktplatz von Stia noch einen Kaffee. Dann geht es los stetig bergan verlasse ich Stia. Auf dem Weg treffe ich auf drei Holländerinnen. Sie werden nur die Strecke nach La Verna pilgern. Eine von Ihnen kannte die Strecke ab La Verna bis Assisi bereits, weil sie den Weg vor sechs Jahren mit ihrem Mann pilgerte. An dessen Stelle sind heute ihre Freundinnen dabei. Im nächsten Örtchen verabschieden wir uns. Die drei Pilgerinnen besuchen eine Kirche und ich pilgere weiter.

Der Weg zweigt von der Straße ab und entwickelt sich zu einem Trampelpfad. Er führt durch ein Bachbett, wird noch schmäler, so dass nur noch ein Fuß vor den anderen passt. Ich gehe sehr achtsam, denn ein falscher Schritt und ich könnte leicht am Abhang abstürzen. In diesem Fall könnte mein Fall nur von dornigen Büschen gebremst werden. Keine angenehme Vorstellung.

Kurz darauf treffe ich auf ein holländisches Pärchen, das gerade an der Ruine einer Kapelle rastet. Sie wollen auch nach Rom und werden wohl einige Etappen mit Bus und Bahn zurücklegen. Ich freue mich, dass doch noch andere Pilger auf dem Weg sind. Ich laufe weiter durch den von Büschen gesäumten Weg und komme nach Valagnesi. Eine Bank lädt mich zur Rast ein. Ich esse mein Stück Weißbrot, dass ich in Pontassieve kaufte und lese in meinem Pilgerführer. Dabei entdecke ich, dass ich vor 2 km hätte abzweigen müssen, um zur Sacro Eremo di Camaldoli zu gelangen. Ich wundere mich über meine Gelassenheit und denke nur kurz darüber nach umzukehren. Doch ich verwerfe den Gedanken noch im selben Augenblick. Ich bin begeistert, dass ich gar keine Sorge habe etwas zu verpassen. Heute ist halt Chillen angesagt.

Aus Richtung Camaldoli kommt mir eine Frau mit Rucksack entgegen. Eine Pilgerin die sich nach geheilter Krebserkrankung nun ihren Wunsch erfüllt den Franziskusweg von Rom nach Florenz zu pilgern. Sie erzählte mir ein wenig von ihrem Weg und von Wölfen die ganze Schafherden dezimieren. Deshalb seien hier auch so viele Wachhunde bei den Schafherden. Wir verbrachten die Mittagspause zusammen und unsere Wege trennen sich in entgegengesetzter Richtung.

Ich laufe weiter in Richtung Camaldoli und komme kurz darauf zu einer Schafsherde, die von vier Hunden gehütet wird. Drei der Hunde bellen und bleiben bei der Herde. Einer jedoch scheint sich für mich zu interessieren. Er verfolgt mich und schleckt über meine Wade. Ich bin froh, dass es ihm wohl nicht so sehr zu munden schien und er davon absieht kraftvoll hineinzubeißen. Ich folge dem weitern Verlauf der Schotterstraße. Als der markierte Weg von der Straße abzweigt erreiche ich nur 45 Minuten später einen hübsch angelegten Rastplatz. Eigentlich der ideale Platz um die Nacht zu verbringen, aber ich will noch weiter nach Camaldoli und es ist erst kurz vor 14 Uhr. Dennoch nutzte ich die ruhige Umgebung in diesem wundervollen, friedvollen Wald mit dem frischen Grün der Bäume und dem melodischen Zwitschern der Vögel für ein Nickerchen. Mittagsschlaf kam in den letzten Tagen eh ein wenig zu kurz.

Um 15 Uhr mache ich mich weiter und komme kurz darauf am Rifugio Asqua vorbei. Dort war eine lange Tafel mit Kuchen eingedeckt, an dem sich bereits einige Pilger und andere Gäste erfreuen. Ich grüße und laufe weiter, obwohl ich sonst einem leckeren Kuchen nur schwer widerstehen kann. Aber ich will ja nach Camaldoli, wo ich gegen halb fünf eintreffe. Camaldoli besteht eigentlich nur aus dem Kloster mit einer beeindruckenden alten Apotheke, zwei Restaurants und einem kleinen Lädchen, die aber alle irgendwie zusammengehören. Ich hole mir im Kloster meinen Pilgerstempel und gehe in eins der Restaurants, um mich mit Tagliatelle und Steinpilzen für die morgige Etappe zu stärken.

Nur kurze Zeit später gesellt sich eine deutsche Pilgerin zu mir und wir kommen ins Gespräch. Sie ist Lehrerin und gönnt sich rein präventiv diese Auszeit, um Stress und Burnout entgegenzuwirken. Die Corona-Zeit mit ständig wechselnden Verordnungen und Vorgaben durch die Ministerien hatten ihr sehr zugesetzt. Ihre Familie ermutigte sie sogar sich ihren Traum des Pilgerns auf dem Franziskusweg nach Assisi zu erfüllen.

Die drei Holländerinnen kommen auch in das Restaurant und schwärmen von der Sacro Eremo di Camaldoli. Es sei einfach ein Muss diesen Ort zu besichtigen. Gut, dass ich noch eine Nacht habe, um mich zu entscheiden wie ich die Route nach Badia Prataglia bestreite. Nach kurzer Konversation verabschiede mich, um mein Nachtlager auf dem nahegelegenen Campingplatz herzurichten. Es wird bestimmt chillig in meiner Hängematte.

Die Etappe von Stia nach Camaldoli betrug gut 18km über 740 Höhenmeter.

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Beten.

Landschaft

Bereits in Florenz habe ich in einer Kirche gebetet und bitte um Schutz vor Schmerz und Krankheit und einen sicheren Verlauf auf dem Pilgerweg. Meine Liebsten schließe ich beim Beten ins Gebet ein und wünsche, dass sie während meiner Abwesenheit wohl behütet sind.

In Pontassieve und auch im benachbarten San Francesco fand ich keinen geeignete Übernachtungsplatz und so lief ich ein Stück der kommenden Etappe. Hinter dem Weiler Nippozano fand ich auf dem Parkplatz der Kapelle einen geeigneten Platz. Obwohl die Wetterapp nächtliche Temperaturen von 12 Grad Celsius vorhersagte, was erstmal gemütlich klang, war es am Boden doch recht kühl in meinem Schlafsack. Da hätte ich mir meinen flauschigen Frotteeschlafanzug herbeigewünscht. Zugunsten des Gewichts blieb er daheim. Der Mond schien helle, irgendwo schienen sich Leute zu unterhalten, Vögel zwitscherten mir ein Schlaflied, in der Ferne starten Flugzeuge. Ich bin fasziniert wie viele Geräusche ich in der sonst recht stillen Nacht wahrnehmen kann.

Am morgen war alles ein wenig klamm. Ich warte bis die Sonnenstrahlen die Sachen trocknen und marschiere los. So richtig frisch fühle ich mich nicht und blicke ehrfürchtig in den Reiseführer. Vor mir liegen 800-900 Höhenmeter. Ich futtere noch fix eine Banane und ziehe los. Nach wenigen Kilometern komme ich an einem Rastplatz vorbei. Wäre ich am gestrigen Abend noch ein bisschen weitergelaufen hätte ich hier eine schickere und solidere Übernachtungsmöglichkeit gehabt.

In weniger als einer Stunde war ich in Diaccetto, wo ich eine Neubausiedlung passiere. Die Reihenhäuser werden hier für €112.000 angeboten. Aufgrund des Leerstandes schaut es jedoch eher wie ein gescheitertes Bauprojekt aus. Der Weg verläuft bis Ferrano einigermaßen eben und steigt dann kontinuierlich an. Nach drei Stunden gönne ich mir eine Pause und entspanne rustikal auf ein paar frisch gefällten Baumstämmen. Während ich auf den Baumstämmen sitze sehe ich wie meine Wade ein eigentümliches Eigenleben führt. Unterschiedliche Muskelregionen zucken, als würden sie eine Melodie spielen. Vielleicht „Dieser Weg wird kein leichter sein!“

Die Steigungsstrecken zehren an meinen Kräften. All meine „Ich kann nicht mehr“ Rufe verhallen im menschenleeren Wald. Ich bete, um zusätzliche Kraft. Ich versuche die verbleibende Steigung zu relativieren, zerlege die restlichen 200hm in vier mal meinen Hausberg hoch und meine innere Stimme spornt mich mit „Du schaffst das!“ Rufen an. Irgendjemand hat meine Gebete erhört und mir die Kraft gegeben. Um 12:00 erreiche ich Consuma und mache erstmal Rast in einer Bar.

Von Consuma nach Stia.

Die nächste Etappe führt nach Stia und Stia liegt wieder am Arno. Also unten im Tal. Ich dachte mir, dass ich diese 15km noch mühelos bewältigen kann, denn es ja eigentlich nur noch bergab. Also mache ich mich auf den anfangs gut ausgeschilderten Weg. Zuerst nach Gualdo. Dort gibt es einen Brunnen, an dem ich meine Wasservorräte auffülle. Danach führt der Weg über ein paar wildromantische Bachläufe. Hier wäre der ideale Platz für ein erfrischendes Bad. Aus Zeitgründen verzichte ich, denn ich mag gerne noch in Stia ein Zimmer bekommen.

So einfach wie vermutet verlief der Weg nicht. Ich verzweifele an der Wegeführung. An ein und demselben Hang verlief der Weg erst steil bergauf und auf Geröll steil bergab und das wiederholt sich mehrfach. Mit jedem Anstieg verliere ich an Kraft und muss immer häufiger Gehpausen einlegen. Ich habe zu nichts mehr Lust, muss immer intensiver auf mich einreden, dass wenn ich mich nicht beeile wohl jede Pizzeria geschlossen sein wird und es auch mit dem Zimmer schlecht stünde. Dennoch brauche ich im Wald eine ausgiebige Pause und hocke mich auf den trockenen Waldboden und bete, dass ich noch die Kraft finde die letzten Kilometer zu bewältigen.

Beten kann ich auf unterschiedliche Art und Weise. Entweder ich bediene mich eines Standards wie zum Beispiel dem „Vater Unser“. Dann brauche ich mir erstmal keine großen Gedanken zu machen, denn es enthält auch einige schlüssige weltliche Passagen wie z.B. „..unser tägliches Brot gib‘ uns heute und vergib‘ uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…“ Das sind ja durchaus sinnvolle Bitten, dass ich täglich etwas zu Essen habe, sich selbst reflektiert was an heutigen Tag nicht so toll gelaufen ist und den Menschen zu verzeihen, die uns selbst gegenüber ein wenig über die Stränge geschlagen haben.

Wenn ich frei bete, dann bitte ich um etwas. Dann reflektiere ich darüber was ich brauche, was mir wichtig ist, was ich von mir selbst, von einem oder mehreren anderen erwarte. Die Bewusstwerdung dessen hilft mir im Alltäglichen ungemein. Nun wünsche ich mir konkret Kraft und Stärke für die letzten Kilometer. Dadurch mobilisiere ich verborgene Reserven, denn ich trete mit mir selbst in einen Dialog. Ich bete „Herr, gib‘ mir Kraft und Stärke“ und umgehen erhalte ich eine Antwort „Du hast die Kraft und ich habe das Vertrauen, dass Du es schaffen wirst!“ Daraufhin bedanke ich mich und laufe Kraft des Gedankens, dass ich es schaffen werde weiter.

Die letzten Kilometer nach Stia zogen sich wie Kaugummi. Ich pilgerte an einem Wohnmobilstellplatz vorbei. Für den Fall der Fälle wäre dies schonmal ein geeigneter Lagerplatz für die Nacht. Das entspanne mich und ich suche erstmal eine Pizzeria auf. Dort verzehre ich einen Salat mit Thunfisch und ein paar Ravioli, um die Energie zu bekommen, die ich für die kommende Etappe benötige. In der Pizzeria gesellt sich Bettina vom Bodensee zu mir. Wir tauschen uns über unsere Pilgermotive und unsere bisherige Erfahrung aus.

Anschließend kümmere ich mich um ein Zimmer und freue mich, dass ich bei La Guardia noch eines für 40€ ergattern kann. Mein Bedürfnis nach Körperhygiene ist dermaßen groß, dass ich mich total über die heiße Dusche freue. Daheim kann ich mich jederzeit Duschen. Es ist nichts besonderes. Hier auf dem Weg schon. Ich denke man sollte das Alltägliche nicht unbedingt als Selbstverständlich hinnehmen, sondern auch dem Alltäglichen immer mit Dankbarkeit begegnen.

Die Länge der heutigen Etappe von Pontassieve über Consuma nach Stia beträgt knapp 32km mit 1.300 Höhenmeter.

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Anfang.

Florenz Bruecke

Aller Anfang ist schwer und ich erkenne schon nach kurzer Zeit, dass ich jedem Anfang eines guten Weges mit Demut begegnen sollte. Aber alles erstmal der Reihe nach. Ich reise mit meinem Wohnmobil nach Florenz, um dort meine Pilgerreise anzutreten und anschließend noch weitere Zeit in Italien zu verbringen. Das Wohnmobil lasse ich auf dem Parkplatz Parcheggio Villa Costanza in Florenz. Dieser Parkplatz erscheint mir als Abstellplatz für mindestens einen Monat als sicher. Der Platz verfügt über eine Ein- und Ausgangsschranke mit Kennzeichenerkennung und Videoüberwachung. Erreichen kann man den Platz nur von der Autobahn und er verspricht günstige Abotarife, so dass ich das Wohnmobil dort für €40,- einen ganzen Monat lassen kann. Zu guter Letzt ist er auch direkt durch eine Straßenbahn mit der Innenstadt verbunden.

Ich frühstücke und verspüre eine gewisse Trägheit. Klar, ein ruhender Körper vermag in Ruhe bleiben, wenn keine äußeren Kräfte auf ihn einwirken. Das besagt schon das erste Newtonsche Gesetzt. Und wenn er erstmal in Bewegung ist, dann bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit weiter, wenn keine äußeren Kräfte auf ihn einwirken. Das spüre ich am eigenen Körper ganz deutlich. Wenn ich beispielsweise liege, dann liege ich und bliebe am liebsten liegen, außer äußere Kräfte setzen mich in Bewegung. Wie meinen Harndrang, den ich auch den äußeren Kräften zuordne. Als ich noch klein war, hat es mich nur wenig gestört noch im Liegen in meine Windel zu pieseln. Bis mir meine Mutter beibrachte, dass ich auch auf’s Töpfchen gehen kann, was ich seitdem auch tue. Das macht voll Sinn, denn damit spare ich Zeit, da ich nicht ständig die nassgepieselte Wäsche wechseln muss. Aber wer weiß, vielleicht kommt die Zeit irgendwann zurück. Heute lasse ich meinen Körper in Ruhe, bis die äußere Kraft, der Gedanken „Ich will jetzt los, die Welt entdecken!“ in meinem Kopf auftaucht.

Das Pilgern beginnt.

Also raffe ich mich um 10 Uhr auf und fahre mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof, wo ich meinen kleinen Florenz Rundgang beginne. Es sind bereits einige Touristengruppen unterwegs und je näher ich in die Nähe des Doms gelange, häufen sie sich. Vor allem Schulklassen und Rentnergruppen. Ich bin genervt von den Fähnchen der Touristenführungen und dem wilden umher Gerenne und Gequatsche. Nur die modisch gekleideten Florentinerinnen die mir stolz mit einer Wolke feinsten Parfüms umgeben, begegnen, lenken mich von dem hektischen Treiben ab. Ich flüchte mich in die Santa Maria della Croce. Laut Reiseführer ist es die bedeutende Kirche für Franziskuspilger. Ich besuche die Kirche und denke die 8€ Eintritt könnte man den Pilgern ruhig erlassen, zumal die Motive mit dem heiligen Franz nicht wirklich sichtbar sind, da sie gerade restauriert werden.

Nach der Besichtigung in der Kirche ist es 12 Uhr. Ich fülle meine Wasserblase an dem nächstbesten Brunnen und pilgere los. Erstmal flach am Ufer des Arno entlang. Dann geht es leicht bergauf und in Bagno komme ich gleich zweimal vom guten Weg ab. Na, das geht ja schon mal gut los. Ich blättere in meinem Wanderführer und finde eher zufällig als durch die Beschreibung wieder den Anschluss zum markierten Weg.

Es ist unfassbar heiß und nach drei Stunden bergauf brauche ich eine Pause. Auf dem Weg blicke ich zurück und sehe wie die Silhouette von Florenz immer weiter in die Ferne rückt. Die Intervalle meiner Pausen werden kürzer. Ich fühle mich kraftlos und jeder Schritt bedeutet enorme Anstrengung. Zudem ist die Wegeführung eher uneindeutig oder sogar irreführend. Das kann ich jetzt gerade gar nicht gebrauchen. Ich entscheide mich für den Weg der nirgendwo hinweist und komme wieder auf einen guten Weg und letztlich zum Convento Incontro. Das sollte mit 568m ü N.N. der heutige Höhepunkt sein. Ich lege mich erstmal flach auf eine Steintreppe, entspanne und versuche wieder zu Kräften zu kommen.

Ich pilgere weiter und es geht erfreulicherweise nur bergab. Meine Stöcke verhindern auf dem gerölligen Weg mehrere potentielle Stürze. In Rosano decke ich mich in einer Bodega mit Brot, Käse, Bier und einer Cola ein, denn nachdem es den ganzen Tag nur Wasser gab, habe ich jetzt Lust auf einen anderen Geschmack. Der Weg führt durch eine wenig attraktive Wohnsiedlung und führt zum Schluss an der Sieve, einem Nebenfluss des Arno in das sehr übersichtliche Centro von Pontassieve. Es ist 20 Uhr und ich bin entkräftet. Erstmal pausiere ich auf der Piazza vor dem Rathaus und schaue wie es nach den heutigen 28km über 900 Höhenmetern weitergeht.

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Abschied.

Peter zu Beginn der Pilgerreise

Bereits im vergangenen Jahr beschloss ich, dass das Jahr 2022 das Jahr meiner Gesundheit werden wird. Mein Gewicht ist durch Corona und eine Verletzung an der Ferse in einen ungesunden Bereich geraten und mein Blutdruck ist entsprechend gefolgt. Mein Job, meine vielen Projekte und die Versorgung meiner Mutter tragen dazu bei, dass ich mich selbst fragte, wo ist Raum für meine Individualzeit? Zugegeben ein wenig Individualzeit in der ich mich ausschließlich um mich kümmern kann, plane ich regelmäßig ein. Aber es ist mir gerade zu wenig und ich möchte mich einfach mal wieder auf mich selbst besinnen.

Ich bin dann mal wieder Pilgern.

Die einzige Strategie die mir mal wieder dazu einfällt ist Pilgern. Das tat mir bereits in früheren Jahren gut und wird es bestimmt auch dieses mal. Bloß auf welcher Strecke? Die Jakobswege kenne ich bereits, aber der Franziskusweg ist mir ebenso fremd wie sein Namensgeber: der heilige Franziskus von Assisi. Von diesem Weg hörte ich bereits im Jahre 2013 von einem Arbeitskollegen, der den Weg pilgerte und auf halber Strecke seine Pilgerreise ebenso aufgab wie kurz danach seinen Job. Dieser Weg weckt meine Neugier.

Auch das der Franziskusweg in Florenz beginnt, der Stadt die ich schon 1990 erkunden wollte, spricht für diesen Weg. Damals tat ich es aus Zeitgründen nicht. Ich möchte mir Zeit lassen. Ich mag der Stadt mit ihrer Geschichte und den Menschen die eine Stadt prägen, wertschätzend begegnen und soviel Zeit widmen, so dass ich sagen kann „Ich konnte es genießen.“

Doch noch bevor es losgeht sind einige Vorbereitungen zu treffen. Ich habe schon lange keine mehrtägige Wanderung mehr gemacht und fürchte, dass ich aktuell nicht genug Kraft und Ausdauer für den Weg habe. So beginne ich bereits 10 Wochen vorher zu wandern und leicht zu joggen, um ein paar Definzite bereits im Vorfeld auszugleichen.

Auch organisatorisches gab es zu vorzubereiten. Wenn ich schon in Rom ankomme, dann will ich auch den Papst sehen und buchte mir beim deutschsprachigen Pilgerzentrum in Rom eine kostenlose Eintrittskarte für die Generalaudienz die jeden Mittwoch um 9 Uhr stattfindet. Außerdem brauche ich einen Pilgerpass, der mich offiziell als Pilger ausweist und diesen habe ich bei . Aber es gibt noch andere Vorbereitungen. So zum Beispiel das Buchen der Audienz beim Papst. Die ist bereits unter gebucht. Auch meinen Pilgerpass habe ich bei dem Pilgerpassbüro PiccolAccoglienza der Diözese Gubbio bestellt.

Jetzt geht’s los.

Habe ich auch wirklich nichts vergessen? Ich verabschiedete mich von Allen die mich im täglichen Leben begleiten und die mir wichtig sind. Mein Rucksack ist mit allem bepackt, was ich erfahrungsgemäß auf meiner Pilgerreise benötigen werde. Und das ist nicht viel.

Abschied ist mir wichtig. Ich möchte die Menschen die mir lieb und wichtig sind in guter Erinnerung mit auf den Weg nehmen. Und ich hoffe, dass ich ebenso in guter Erinnerung bleiben. Wer weiß was auf dem Weg oder in der Zwischenzeit geschehen mag. Arrivederci! Ich freue mich auf ein Wiedersehen.

In den kommenden Wochen bin ich alleine unterwegs und aufgeregt-gespannt, wie ich die Zeit mit mir alleine ohne die Menschen die mich im Alltag begleiten verbringen werde, vor allem wie ich es mir damit wohl gehen mag. Dabei bin ich mir bewusst, dass auch ich im Alltag der mir nahestehenden Menschen eine Lücke öffne. So werden wir alle Wege finden damit umzugehen: Betrauern, Vergessen, Verdrängen oder die Vorfreude genießen. Oder meinen Blog hier verfolgen, um den guten Weg mitzuerleben. Ich nehme auf jeden Fall dankbar alle Eure Wünsche mit auf den Weg.

Loslassen.

Auf dem Weg nach Italien bin ich durch Schweiz gefahren und habe meinen alten Pilger Bruder Harry besucht um mich auch von ihm zu verabschieden. Uns verbindet eine über 40jährige Freundschaft. In 2010 pilgerten wir gemeinsam auf dem Jakobsweg von St. Jean-Pied-de-Port bis ans Jakobsgrab und seitdem hat sich einiges geändert und für jeden von uns begannen neue Lebensabschnitte .

Ich fahre ab Vevey am Genfer See entlang. Als ich Montreux passiere erinnere ich mich an den legendäre Deep Purple Song „Smoke on the Water“, der hier während der Aufnahmen eines neuen Albums entstand. Weiter geht es zum Großen St. Bernhard. Die Anzeigentafel zeigt an, dass der Pass geschlossen ist und neben dem Tunnel sehe ich das Symbol eines rutschenden Autos und zwei Schneeflocken.

„Oha“ dachte ich und hoffte, dass die Straßen frei von Schnee und jeglicher Glätte sein werden. Mit jeder Serpentine die ich dem Pass näher kam, wuchsen meine Katastophenfantasien. Was wäre, wenn jetzt plötzlich Schnee einsetzen würde? Was wenn ich auf der geschlossenen Schneedecke ins Schlingern käme? Dann wäre meine Pilgerreise beendet noch bevor sie begonnen hätte. „Stop!“ Dachte ich in diesem Moment, um aus dem Gedanken-Karussell auszusteigen. Ich entschied, mich erst dann damit auseinanderzusetzen wenn es denn soweit ist. Und aktuell scheint die Sonne und die Straßen sind trocken.

Nach weiteren Serpentinen fahre ich in den Tunnel ein und konnte es nicht fassen, dass ich für die Durchfahrt satte 46 EUR bezahlen durfte. Noch vor ein paar Jahren hätte ich mich lange darüber aufgeregt wie jemand auf die Idee kommen kann diese Summe für die Durchfahrt eines solch schäbigen Tunnels zu verlangen. Der Gedanke kam mir heute auch, jedoch nur kurz, denn dank dieses Tunnels kann ich überhaupt hier langfahren und brauche nicht über eine vereiste Passstraße zu fahren. An diesem Tunnel haben Menschen solange gearbeitet wie meine Eltern an der Entscheidung mich zu zeugen. Der knapp 6 Kilometer lange Tunnel wurde in meinem Geburtsjahr 1964 eröffnet und lässt heute ein paar hunderttausend Autos pro Jahr passieren.

Als ich wieder das Tageslicht erblicke, finde ich mich im Aostatal wieder und schlängele mich hinunter nach Ivrea. Auch wenn ich noch nie in Ivrea ware, so verbinde ich mich mit dieser Stadt durch meine Berufsausbildung. Ich habe nach dem gescheiterten Versuch auf dem Gymnasium in die Oberstufe zu kommen erstmal den wundervollen Beruf des Büromaschinenmechanikers gelernt. Und zwar bei einem Olivetti Vertragshändler. Und Olivetti kam aus Ivrea. Sowohl die Rechner als auch die Schreibmaschinen waren aufgrund ihres ästhetisches und besonderes Design beliebt.

Ich fahre weiter durch die Po-Ebene vorbei an Alessandria, weiter in Richtung Genua. Im Radio wechselt sich Italienische Schlagermusik mit italienischen Radiobeiträgen ab. Ich freue mich über jedes Wort das ich verstehe, nach dem ich seit über einem Jahr versuche mich mit Duolingo der italienischen Sprache anzunähern.

Ich versuche mit meinen Gedanken ganz im Hier und Jetzt zu sein. Das gelingt mir nicht immer, denn es huscht immer wieder der Gedanke durch den Kopf, wo ich mein Wohnmobil denn wohl während der Zeit unterbringen kann. Dabei wünsche ich mir, dass ich es ebenso wie ich es abstelle am Ende meiner Pilgerreise auch wieder auffinde. Sprich, dass es mir weder gestohlen, noch aufgebrochen, noch neue Bewohner bekommt. Harry hatte zu diesem Thema auf jeden Fall einige Gruselgeschichten auf Lager. Die Bilder tauchen immer wieder in meinem Kopf auf.

„Loslassen! Bleib im Hier und Jetzt!“ rede ich mir ein, um mir die Angst, vor dem zu nehmen was gegebenenfalls eintreten mag. Immerhin ist es noch nicht soweit, dass ich mein WoMo für die restlichen Wochen abstellen werde. Irgendwann gebe ich auf. Die Gedanken kommen immer wieder und verschwinden erst als ich sie akzeptiere und mich mit den Botschaften auseinander setze. Also es besteht ein gewisses Risiko, dass meinem WoMo etwas „zustößt“. Diesem Risiko kann ich nun mit einer Strategie begegnen und es entweder akzeptieren, vermeiden, reduzieren oder abwälzen.

Gut, alles bekannt aus meiner langjährigen Erfahrung als Projektleiter. Abgewälzt ist das Risiko schon, denn gegen Diebstahl ist es versichert. Vermeiden lässt sich das Risiko an keiner Stelle, außer ich buche irgendwo einen persönlichen Bewacher und der fällt definitiv aus dem Kostenrahmen. Akzeptieren kann ich das Risiko nicht. Ich würde mich im Eintrittsfall vor Scham im Boden versinken, weil ich nichts zur Vermeidung getan habe. Ich entscheide mich, dass Risiko zu Verringern und das WoMo auf einem gesicherten Parkplatz abzustellen. Gesichert, d.h. mit Zaun, Einfahrtsschranke und Zugangskontrolle. An diesem Gedanken kann ich mich erfreuen und entscheide mich dafür.

Mit diesem Gedanken kann ich loslassen und fahre im Hier und Jetzt nach Genua, wo ich im Hier und Jetzt für zwei Stunden im Stau stehe. Irgendwann geht es weiter und ich fahre mit meinem WoMo nach Massarosa. Dort besuche ich eine Bekannte, bei der ich vorsichtig mein Sprachverständnis üben darf. Nach dem Abendessen verabschiede ich mich und fahre über enge Serpentinen den Berg hinauf nach Montigiano. Die Serpentinen sind so eng, dass ich in der Kurve rangieren muss, um rum zu kommen. Von dieser Anhöhe gibt es einen fantastischen Blick über die vom Mondschein beleuchtete Ebene bis nach Villaregio und das Mittelmeer.