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Spiritualität.

Franziskusbuche

Ich habe prächtig geschlafen und wache bereits vor meinem Wecker auf. Die Saarländer, die ein 8-Bett Zimmer für sich alleine hatten, sind auch schon aktiv. Wir sind zeitgleich fertig und brechen gemeinsam auf. Alle Bars sind noch geschlossen und die beiden haben beschlossen, dass sie ihre Tour hier beenden und die verbleibende Strecke nach Rom mit dem Bus fahren werden. Wehmütig trennen wir uns am Ortsausgang. Immerhin begleiteten wir uns seit Citta di Castella und begegneten uns immer wieder einmal. Auf einem Schild lese ich: Roma 150 km. Mal gucken wie lange ich dafür brauche.

Jetzt war ich auf alle Fälle wieder alleine unterwegs ohne Perspektive einen der bekannten, anderen Pilger nochmals zu treffen. Nach einem knackigen Anstieg erreiche ich Labro, ein pittoreskes, mittelalterliches Dorf mit einer geöffneten Bar. Dort genieße ich einen Cappuccino und ein Eis mit Schokoüberzug und Mandelsplittern. Mein erstes Eis nach Florenz. Ob das etwas zu bedeuten hat? Vielleicht ist es mein Versuch mich mit diesem Eis über den Abschied von den Saarländern zu trösten.

Der weitere Weg führte über wechselweisen Belag immer weiter in die Höhe. Bis Poggio Bustone werde ich 920 Höhenmeter überwinden. Inzwischen empfinde ich diese Höhenunterschiede gar nicht mehr so erschreckend und erschöpfend wie zu Beginn. Dabei ist mein Rucksack nicht leichter als zu Beginn. Ich freue mich, dass ich mich inzwischen so gut an den Weg angepasst habe oder der Weg an mich. Ich komme an meine Grenzen und erweitere diese kontinuierlich in alle Richtungen. Weg und ich haben uns aufeinander eingespielt. Ich kann dem Weg und den Markierungen bis auf wenige Ausnahmen blind vertrauen und dafür bin ich einfach dankbar.

Pilgern ist eine spirituelle Erfahrung. Ich nehme wahr wie ich Teil der Natur, der Schöpfung bin und damit quasi verschmelze. Ich bin Teil eines großen Ganzen und auch das große Ganze ist auch ohne mich nur unvollständig. Von daher stehen sich Spiritualität und Sexualität kaum etwas nach. Wenn Sexualität nicht so verstanden wird, dass einer dafür verantwortlich ist die Bedürfnisse des anderen zu befriedigen, dann geht es bei der Sexualität eben auch um die sinnliche Verbindung zu einem größeren Ganzen, die mit einem Körper alleine unmöglich wäre. Alleine bin ich eben nur alleine. Erst wenn ich mich mit meiner Mitwelt verbinde, kann ich Teil eines größeren Ganzen sein, kann sich meine Aura, die Grenzen der „Strahlkraft“ meines Körpers, in die Aura eines anderen Körpers eintauchen, wodurch sich die eigenen Grenzen auflösen und für Momente zu einem größeren Ganzen verbinden.

In meinen Gedanken versunken erreiche ich gegen Mittag die Faggio di San Francesco. Eine besondere Art von Buche, von denen es weltweit wohl nur zwei Exemplare gibt. Unter dieser speziellen Buche suchte Franz Schutz vor einem Gewitter, woraufhin der Baum seine Zweige wie ein Regenschirm bog. Vor der nahegelegenen Chiesa di San Francesco machte ich eine kurze Rast. Es ist mit 1085m der höchste Punkt meiner Tagestour. Meine Reiseführer stimmen beide für einen Pfad, der hinter dem Kirchlein über eine Wiese führt. Allerdings nur für trittsichere Pilger mit Stöcken und knöchelhohen Schuhen, als absolute Voraussetzung. Alternativ könnte ich auch über den Hauptweg weiter pilgern.

Ich liebe die Abwechslung. Abseits von ausgetreten, leichten Wegen zu wandeln verlockt mich immer wieder aufs Neue. Der Pfad führt steil durch ein Wäldchen und ich frage mich, wo die Herausforderung liegen könnte. Das wurde mir wenige hundert Meter schon klarer. Ein schlanker Pfad führt über steiniges Geröll den Abhang hinunter. Jeden Schritt musste ich sorgfältig erkunden und mit meinen Stöcken absichern bevor ich ihn schreite. In jedem Moment erkunden, ob ich noch ausreichend Halt habe. Bei nur einem Fehltritt oder einem kurzen Moment des Verlustes meiner Aufmerksamkeit würde ich unaufhaltsam stürzen. Und ich bin sicher, dass die Menge der Verbände und Wundsalben in meinen Gepäck nicht ausreichen würden, um meine Wunden zu versorgen.

Die Zeichen die ich trotz aller Achtsamkeit im Moment wahrnehme, signalisieren mir, dass ich auf den richtigen Weg bin. Der steile Schotterpfad geht fließend über in ein sanftes Wäldchen mit einem kleinen plätschernden Bachlauf. Ich folge dem Lauf des Baches mit seinen kleinen Wasserfällen. Es wird entspannter und leichter. Wie durch ein Wunder versiegt der Bach nachdem ich ihn ein zweites Mal überquere. Danach erreiche ich wieder eine breite bequeme Forststraße, der ich bis Poggio Bustone folge.

Eigentlich ist es noch früh am Tag und ich bin noch nicht in Stimmung die Tagesetappe hier in Poggio Bustone zu beenden. Um meinen weiteren Verlauf zu planen, mache ich in der Bar Francescano erstmal eine Pause. Ich trinke ein Bier und es läuft entspannend „Shine on you crazy diamond“ von Pink Floyd. Leuchten wie ein verrückter Diamant, so wie in der Kindheit, unberührt von den Ideen anderer. Darum geht‘s doch auch auf dem Weg: Das Leuchten von Innen heraus wieder zu erwecken. Ich esse noch eine Aprikosentarte, um meinen Kalorienhaushalt wieder ein wenig auszugleichen. Auch dabei vereinigen sich zwei voneinander unabhängige Körper. So wird auch das Essen für mich zu einem spirituellen Erlebnis.

Hier in Poggio Bustone hielt sich Franz wohl mit den ersten Gefährten ein Jahr lang auf. In Assisi hatten die Leute wenig Verständnis dafür, dass Franz erst all seinen Besitz verschenkte und danach auf Kosten anderer lebte. So zweifelte Franz selbst. Aber von Gott selbst bestätigte dem Franz hier in Poggio Bustone, dass er auf dem rechten Weg sei. Hier begrüßte er die Leute mit „Buongirono, Buona Gente“ (Guten Tag, Gute Menschen). Ach wie schön, wenn sich diese Haltung auch heutzutage wieder stärker durchsetzen würde. Eben mit genau der Annahme das jeder Mensch dem ich begegne erstmal gut ist.

Cantalice

Die Uhr zeigt 16 Uhr 30 und ich mag noch ein Stück weiterpilgern. Nach einem kurzen Rundgang durch Poggio Bustone folge ich den sehr gut sichtbaren gelb-blauen Markierungen und komme zügig voran. Wenig später erreiche ich Cantalice ein mittelalterliches Dörfchen, dass wie in den Hang gegossen ist. In einem kleinen Alimentari kaufe ich Salami, ein Brötchen, eine Tomate, eine Birne und zwei Kiwis. Das alles schleppe ich über mehrere Treppenstufen vom Unterdorf ins Oberdorf und esse zu Abend während ich den Blick über die Ebene genieße.

Noch bin ich fit und so pilgere ich weiter in Richtung Rieti ohne eine Idee zu haben, wo ich übernachten könnte. Ich laufe bis Santa Felice dell’ Acqua, wo ich hinter einem kleinen Kirchlein ein paar Pilger sehe. Ich spreche sie an. Sie gehören zu einer kroatischen Pilgergruppe, die ich seit Pieve di Saddi immer wieder mal sah.

Einer von ihnen gibt mir die Handynummer von Enrico, dem Patron der Herberge. Ich rufe Enrico an. Zuerst meint er, dass kein Bett mehr frei sei, dann meint er ich solle warten bis er zu seinem letzten Rundgang vorbei kommt. Geduldig warte ich vor der Kirche auf einer Parkbank. Dann kommt Enrico. Er begrüßt mich herzlich und sagt ich solle mit zur Herberge kommen. Da ließe sich noch was machen. Er führt mich durch die Küche in ein Nebenzimmer, wo ein einzelnes Bett mit Mickey Mouse Bettwäsche steht. Dort könne ich übernachten. Wunderbar! Ich hatte sogar eine Dusche und eine Toilette für mich ganz alleine. Ich bin begeistert. Eine Frau der kroatischen Gruppe sprach ein wenig deutsch und lädt mich zum Abendessen ein. Eigentlich war ich ja durch den Verzehr von Tomate, Brötchen und Kiwis schon „satt“, aber es riecht gerade so lecker, dass ich nicht ablehnen will.

Ich mache mich unter der Dusche schnell frisch und bin abermals begeistert, denn sogar Duschgel und Handtücher sind vorhanden. Welch ein Komfort und alles auf reiner Spendenbasis! Gerade höre ich, wie die „Köchin“ meinen Namen ruft. Es gibt Abendessen. Ich setze mich und jeder einzelne der Gruppe stellt sich vor. Es gibt einen leckeren Erbseneintopf und Salat.

Wir unterhalten uns auf Italienisch, Englisch und Deutsch. Die Jüngste in der Gruppe erzählt mir, dass sich die Gruppe über Facebook kennenlernte und zum gemeinsamen Pilgern verabredete. Sie fuhren mit einem Auto von Kroatien nach La Verna, um zu starten. Sie teilen alle Kosten gerecht auf. Im Wechsel fährt jeder einmal das Auto zur nächsten Unterkunft und kümmert sich um die Einkäufe. Ich gewinne den Eindruck, dass die Gruppe gut miteinander harmoniert. Jeder respektiert zu jeder Zeit die Bedürfnisse der anderen. Sobald sie in Rom angekommen sind, werden sie noch zwei Tage gemeinsam verbringen und nach Kroatien zurück fahren. Dann wird jeder wieder seiner Wege gehen.

Ich genieße den Abend mit der kroatischen Gruppe und gehe zufrieden und in Frieden schlafen. Die Gastfreundschaft, die Hilfsbereitschaft unter Menschen die sich kaum kennen, das ist es was die Pilgergemeinschaft ausmacht. Pace e Bene.

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