Gehorsam ist ein weiteres Prinzip des Heiligen Franz. Wenn ich alleine das Wort Gehorsam höre, merke ich wie Unbehagen in mir aufsteigt und mein inneres Kind beginnt zu rebellieren. Warum? Vermutlich weil ich eher an das denke was mir blüht, wenn ich eben nicht gehorsam bin.
Um 7:30 gehe ich zum Frühstück und es wartet ein reich bestücktes Frühstücksbüffet auf mich. Ich wähle einen Platz auf dem Balkon und genieße den Ausblick. Es wird ein Cappuccino serviert und ich bediene mich mit Weißbrot, Käse, Salami und Marmelade. Danach gibt es noch ein wenig Quark in den ich mir eine frische Kiwi schnippele. Das war zwar nicht enthaltsam, aber lecker und stärkend. Am Nachbartisch sitzt ein Pärchen und unterhält sich in Englisch. Aus der Hosentasche der Frau ragen Pilgerpässe.
Ich komme mit Ihnen ins Gespräch. Sie starteten in La Verna und unternehmen die Tour voll organisiert. Das heißt alle Zimmer wurden bereits gebucht und das Gepäck wird transportiert. So genießen sie die Etappen mit leichtem Gepäck. Es war lustig. Er ist 65 und ging gerade in Rente. Er arbeitete in einer Softwarefirma im Marketing und berichtete von den zahlreichen Konflikten. Der Service beschwert sich beim Vertrieb, weil das was der Vertrieb vom Marketing verstanden hat nicht funktioniert, die Entwicklung beschwert sich beim Service, weil der Kunde die Software nicht so nutzt wie sie ursprünglich gedacht war und der Kunde beschwert sich, weil die Kosten der Implementierung den erhofften Nutzen übersteigen. Und aus Gehorsam darf keiner dem Kunden sagen, dass seine Anforderungen nicht umsetzbar sind.
Wenn ich mich einer Gemeinschaft anschließe, so erkläre ich mich einverstanden auch die Regeln dieser Gemeinschaft zu akzeptieren und diese Werte für mich zu übernehmen. Wenn die Regeln und Werte der Gemeinschaft nichts für mich sind, dann sollte ich vielleicht besser die Finger davon lassen. Am besten stellt man direkt beim Bewerbungsgespräch die Frage „Wie aufrichtig ist das Unternehmen seinen Kunden gegenüber?“
Ich höre heute erstmal auf meine innere Stimme die mir sagt, dass ich nach dem Frühstück erstmal aufbreche. Gehorsam folge ich meiner inneren Stimme, packe meine Rucksack, begleiche die Rechnung und ziehe los. Noch ist es von den Temperaturen angenehm und ich folge dem Verlauf der Hauptstraße. Sie verläuft erst bergab, dann leicht bergan und verlief im weiteren Verlauf auf Forst und Wiesenwegen. Die Steigung ist so angenehm, dass ich zügig vorankomme. Der Weg ist auch so gut markiert, dass ich den Wanderführer kaum brauche.
Am Monte Fungaia treffe ich die dänische Pilgerin, die ich bereits gestern beim Abendessen traf. Sie startete vor einigen Jahren in je zweiwöchigen Etappen in Dänemark, pilgerte bereits durch Deutschland und ist jetzt auf dem letzten Stück nach Assisi unterwegs. Wir plauderten und pilgerten die Strecke bis zum Lago die Montedoglio gemeinsam. Dann trennen sich unsere Wege, da ich gerne im See baden möchte. Ich fragte einen Bauern und der erklärte mir, dass das Baden im See bei Geldstrafe verboten sei. So ließ ich mein Vorhaben fallen und pilgerte weiter. Der Weg folgte der wenig befahrenen Straße und ich hatte stetigen Blick auf den Stausee, der unter anderem vom Tiber gespeist wird. Ich bin gerade begeistert, denn ich bin jetzt bereits von Arno zum Tiber gepilgert und der Tiber fließe.
Nach drei Stunden sehe ich am Ufer des Tiber einen wartungsbedürftigen Rastplatz und entscheide mich nach drei Stunden pausenlosen Pilgern zu einer Rast. Immerhin habe ich bereits 16 km zurückgelegt. Während ich meine Äpfel esse kommt die Dänin vorbei. Sie hatte sich direkt nach der Staudammbrücke verlaufen. Sie machte kurzer Rast und lief weiter. Ich genoß die Ruhe bis sich das deutsche Pilgerpärchen, welches ich in La Verna bereits kurz traf, ebenfalls zu mir gesellte. Wir tauschten uns über die Unterkunft aus. Sie trafen ebenfalls die Schulleiterin und das englischsprachige Pärchen, dass ich morgens beim Frühstück traf. Mir gefällt es, dass sich die Pilger auf dem Weg immer wieder begegnen.
Ich verabschiede mich und pilgere alleine in meinem Tempo auf dem Tiberdamm weiter. Die Strecke ist gerade ein wenig eintönig: schnurgerade und flach auf einer staubigen Piste. Ich schalte meinen Autopiloten ein und ziehe zügig mit dem Takt meiner Stöcke weiter.
Beim Heilgen Franz war es einfach. Er stellte Gehorsam als Regel auf und jeder der sie anerkannte gehörte dazu. Wie verhält es sich mit Gehorsam in einer neu gegründeten Gemeinschaft, wie einer Wohngemeinschaft oder Partnerschaft. Wird da von Anfang an über gemeinsame Werte und Regeln geredet, welchen man im Verlauf des Zusammenseins folgt? In Gehorsam steckt auch irgendwie Hören. Sich erstmal gegenseitig achtsam zuzuhören ist da durchaus hilfreich. Richtig zuhören, heißt nicht nur mit den Gedanken sondern auch mit dem Herzen. Und richtig zuhören heißt auch erstmal auf sich selbst hören und achten was bei mir selbst vorgeht.
Mir geht es gerade prächtig. Ich schwitze bei den Temperaturen von 26 Grad ein wenig, aber Ich verspüre noch keine Müdigkeit in den Muskeln. Allerdings bin ich frustriert, dass es unterwegs keinen Shop oder Brunnen gibt, wo ich meine Wasservorräte die in der Mittagspause zu neige gingen hätte auffüllen können. Mein Rücken schmerzt in Höhe der Brustwirbelsäule ein wenig. An meinen Füßen hat sich innerhalb der vergangenen Woche noch keine einzige Blase gebildet. Nur der kleine Zeh ist ein wenig geschwollen. Also alles in allem „tutto bene“.
Der Weg führt von dem Tiber-Damm zu einem Kieswerk und anschließend wird es ungemütlich, denn ich komme in ein Industriegebiet und laufe am Randstreifen einer Bundesstraße dem Feierabendverkehr entgegen. Jetzt gilt es wieder die Aufmerksamkeit nach außen zu richten. Ich freue mich, dass ich nach ca. 2km diesen Streckenabschnitt hinter mir lassen kann und das Stadtzentrum erreiche. Die Frage nach meiner Unterkunft klärt sich schnell, denn ich passiere die Foresteria Santa Maria dei Servi http://www.santamariadeiservi.it/ und checke direkt gegen eine Spende ins Dormitorio ein.
War ich überrascht, dass es sich die Dänin bereits im 6 Bettzimmer gemütlich gemacht hat? Ich erledige gehorsam meine täglichen Pilgeraufgaben wie Stempel organisieren, Duschen und Wäsche waschen. Danach erkunde ich die Stadt und mache es mir erstmal in einer Bar gemütlich und stille meinen Durst mit einem spritzigen Acqua Frizzant und einer Cola. Dabei schreibe ich meine Notizen während ich das geschäftige Treiben beobachte. Sansepulcro hat einen Dom und eine pittoreske Altstadt mit kleinen gemütlichen Bars und Restaurants.
Ich entscheide mich für GentilRosso. Hier gibt es sogar BioBier. Mein Körper scheint aufgrund der Vitamine wieder Salat zu verlangen. Als Hauptgericht verlangt mein Körper Ravioli mit Wildschweinragout. Ich bestelle gehorsam, ich fürchte ansonsten werde ich morgen mit Kraftlosigkeit bestraft.
Heute lief ich 25km und überwand 450 Höhenmeter auf der Strecke von Caprese nach Sansepolcro.