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Jammern.

Gubbio Stadtansicht

Heute ist einfach mal Jammern dran. Ich bin der letzte Bewohner des Herbergszimmers. Alle anderen Pilger sind schon zeitig los und ich will einfach noch nicht los. Meine Beinmuskeln sind schlapp wie Pudding und mein Rücken schmerzt wieder einmal im Bereich der Brustwirbelsäule. Meinem kleinen Zeh des rechten Fußes ist es wohl zu ungemütlich im hintersten Winkel meines Wanderstiefels und er beschwert sich mit einer Blase oberhalb des Zehennagels.

Was soll ich sagen, ich habe keine Lust loszugehen. Aber mein innerer Antreiber schreit schon: „Los jetzt! Was bist Du denn für ein elendiger Jammerlappen! Raus jetzt!“ ich rebelliere noch immer. „Komm, jetzt lass mich noch 20 Minuten in Ruhe und dann stehe ich freiwillig auf, ok?“ Deal! Das innere Gezeter hat mich so aufgewühlt, dass ich jetzt sowieso nicht mehr zur Ruhe komme und ich stehe auf. Nach dem üblichen Morgenritual, stiefele ich los und lasse mich erst noch auf ein Kaffee und ein Croissant in der nächstgelegenen Bar nieder. In meinem Pilgerführer lese ich Worte wie „ansteigend, steil, bergauf“ und will am Liebsten in der Bar sitzen bleiben. Da sich die Strecke jedoch nicht alleine läuft, überwinde ich mein Gejammer und die Vorstellung von unüberwindbaren Bergen und ziehe los.

Es geht erst über die Ausfallstraße abwärts, dann zweigt eine Schotterstraße ab, ich durchwate einen Bach bevor es auf der anderen Hangseite in Serpentinen aufwärts geht und schon wieder hörte ich das Gejammer „Menno, ich hab keine Lust auf diese Steigungen!“ Diesmal antwortet eine andere Stimme und sagt „Gell, Du wärst jetzt schon gerne in Gubbio und hättest diese ganze Strapaze schon hinter Dir, oder?“ „Ja, genau!“ antwortete ich und erhöhe mein Tempo, um diese Etappe schnell hinter mich zu bringen.

Heute treffe ich einige Pilger unterwegs. Zunächst zwei Rentner aus Augsburg. Sie entdecken gerade das Pilgern für sich und sind zunächst zwei Wochen bis Assisi unterwegs. Sie planten bereits von daheim die Strecke und buchten die Hotels. Deshalb sind sie mit leichterem Gepäck unterwegs. Durch die Ablenkung unseres Gespräches, bemerke ich gar nicht wie ich mich beim Bergaufsteigen anstrenge. Allerdings bin ich mit den Beiden auch ein wenig langsamer unterwegs. Wir treffen im weiteren Verlauf die Pilgerin vom Bodensee und das Ärztepärchen. Die beiden Augsburger benötigen eine Pause und ich pilgere alleine weiter. Unterwegs überhole ich noch vier italienische Pilgerinnen.

Ebene vor Gubbio

Vor der letzten Steigung entdecke ich die Dänin bereits von weitem an ihrem Strohhut. Sie jammert nicht direkt, sie ist einfach nur müde. Wir wechseln ein paar Worte und ich steige weiter die steile Straße hinauf, denn ich will ja zeitig in Gubbio ankommen.

Als ich auf dem Scheitelpunkt der Steigung ankomme, öffnet sich vor mir ein Blick auf die Ebene von Gubbio. Herrlich!!! Diese Aussicht ist einfach unbeschreiblich. Reihen von Zypressen stehen in unregelmäßigen Abständen und bilden doch irgendwie ein harmonisches Muster, mit Weinbergen, den Wiesen, den Olivenbäumen, alles in unterschiedlichen Schattierungen von grün. Dieses Bild lässt mein Gejammer verstummen.

Loreto – Kirche

Kurz darauf erreiche ich die romanische Kirche von Loreto aus dem 9. Jahrhundert. Auch hier lasse ich es mir nicht nehmen in der Krypta inbrünstig Halleluja zu singen und bin selbst ganz ergriffen von meinem Gesang. Unterhalb der Kirche ist ein Platz mit fantastischem Fernblick, der eigentlich zum Verweilen einlädt. Ich widerstehe und laufe weiter, denn ich mag wirklich vermeiden, dass ich in die Mittagshitze komme.

Ein paar hundert Meter vor mir sehe ich eine Neubausiedlung. Ich wundere mich, denn die Häuser erscheinen mir irgendwie klein. Auch wundert es mich, dass all die kleinen Häuser von einer Mauer umgeben sind. Was ist das bloß? Bis es mir dämmerte, dass es sich hierbei wohl um den örtlichen Friedhof handelt.

Nur wenige Kilometer weiter überquere ich eine Landstraße und entdecke rechter Hand eine Bar. Zugegeben, kann ich dieser Verlockung nicht widerstehen und lasse mich auf ein Getränk nieder. Habe ich schon erwähnt, dass mich gerade diese urigen Bars ansprechen, wo sich überwiegend nur die italienische Bevölkerung aufhält? Die Stimmung verlockt zum Verweilen, aber ich habe ja beschlossen, dass es sinnvoll ist noch nach Gubbio zu kommen.

Kurz darauf sehe ich den 72 jährigen Österreicher, mit dem ich in der vergangenen Nacht das Zimmer geteilt habe, mit einer deutlich jüngeren Frau. Beide haben sich im Schatten zu einem Päuschen niedergelassen und sind gerade im Aufbruch. Wir pilgern gemeinsam die letzten 3 km nach Gubbio, wo der Heilige Franziskus den bösen und gefräßigen Wolf bändigte. Der Österreicher beginnt das Kinderlied mit den Wölfen zu trällern:

Zwei kleine Wölfe geh’n des Nachts im Dunkeln
Man hört den Einen zu dem Andern munkeln
„Warum geh’n wir denn immer nur des Nachts herum?
Man tritt sich an den Wurzeln ja die Pfoten krumm!
Wenn’s nur schon heller wär
Wenn nur der Wald vom Sternen hell erleuchtet wär!“

Badam, badam, badam, badam, badam, badam
Badam, badam, badam, badam, badam, badam

Kalle Klang

Wir lachen, denn das Lied verbindet mich mit der Zeit als meine Kinder im Kindergarten waren.

Allein der erste Anblick von Gubbio verzauberte mich und lässt mein Herz höher schlagen. Es ist ein gut erhaltenes an den Hang gebautes mittelalterliches Städtchen. Ich weiß auch nicht weshalb mich gerade diese mittelalterlichen Städtchen so sehr in Verzücken versetzen. Vielleicht verbindet es mich mit den Erinnerungen an die Klassenfahrt in der neunten Klasse nach Rothenburg ob der Tauber. Das war meine gute Zeit des Aufbruchs, des Unbeschwerten, wo es für uns in der Klasse nur die Grenzen gab, die wir uns selbst setzten, also eigentlich keine. Ja, vielleicht ist es das. Vielleicht aber auch etwas anderes. Auf jeden Fall bin ich im Hier und Jetzt verzaubert vom Anblick Gubbios.

In Gubbio lassen wir uns auf der Piazza 40 Martiri nieder. Der Name des Platz des Platzes erinnert daran, dass die deutsche Wehrmacht 1944 als Vergeltungsmaßnahme für einen Partisanenangriff vierzig Einwohner Gubbios erschossen hatte. Mir stockt der Atem als ich davon erfahre. Von der jungen Frau, die vom Alter her meine Tochter sein könnte, erfahre ich, dass sie Konditormeisterin ist. Ich bin begeistert, denn ich sehe darin einen Job der zwar kein hohes Einkommen verspricht, aber durch geschmackliche Kreativität die Menschen glücklich machen kann. Wir plaudern noch eine Weile auf der Piazza bevor sich unsere Wege trennen.

Es ist 14 Uhr und ich habe mich für den Convento di San Secondo entschieden. Der Convent liegt außerhalb der Stadtmauern und ich pilgere dorthin. Eine Reservierung habe ich nicht. Ich suche den Eingang und klingele. Der Türöffner summt und ich trete ein. Ich betrat einen langen unbeleuchteten Gang und sehe keine Menschenseele. Ich komme mir ein wenig vor wie in der Rocky Horror Picture Show. Im oberen Stockwerk höre ich Schritte und laufe durch das Treppenhaus nach oben. Wieder lange dunkle Gänge die nur von dem Licht erhellt werden, welches die Fenster am anderen Ende des Ganges reinlassen. Ich hörte Schritte in einem anderen Gang und folge wieder meinem Gehör.

Plötzlich stehe ich vor einem älteren kleinen Männchen, das mit längeren Haaren wie Riff Raff ausgesehen hätte. Das Männlein fragt mich was ich denn hier wolle in diesem religiösen Haus. Ich antworte, dass ich ein Platz zur Übernachtung suche. Seine Frage ob ich reserviert hätte konnte ich nur Verneinen. Für weitere Konversation reicht mein Italienisch leider nicht und so gehe ich wieder eine Etage nach unten und lasse mich im Kreuzgang nieder. Ich versuche anzurufen, um nachträglich zu reservieren. Ich höre, dass es kein freies Bett mehr gibt. Das ist erstmal Pech.

So schultere ich meinen Rucksack und will gerade von dannen ziehen, als plötzlich ein jüngerer Herr mit athletischer Figur auftauchte und fragt, wer ich sei und wie ich hier reingekommen sei. Ich versuchte ihm den Prozess in meinem mangelhaften italienisch zu erklären. Also: An der Tür geklingelt, die wurde geöffnet, ich bin reingegangen und suche ein Bett. Er sagte „Uno Momento“ und rief mit seiner Stimme durch die Gänge nach der Hauswirtschafterin. Sie kommt und bestätigt, dass es noch ein freies Bett gäbe. Ich war erleichtert und folgte ihr. Zu meiner Überraschung gab es sogar ein Einzelzimmer mit Dusche und WC. Megakomfortabel! Das Beste was ich bislang als Unterkunft hatte. Ich bekomme sogar einen eigenen Schlüssel und quasi direkten Zugang. Wundervoll. Ich ruhe ein wenig, dusche und mache mich fertig für einen Stadtrundgang.

Hl. Franziskus und der Wolf in Gubbio.

Mit jedem Schritt durch die Stadt wuchs meine Begeisterung für Gubbio. Dabei darf ich natürlich nicht vergessen, dass der heilige Franz hier in Gubbio einen gefährlichen Wolf zähmte in dem er einen Deal mit ihm ausmachte: Die Stadtbewohner füttern den Wolf bis zu dessen Lebensende und als Gegenleistung sollte er aufhören, die Einwohner zu fressen. Der Deal hat geklappt und so lebten alle gemeinsam in Frieden.

Am Palazzo dei Consoli ließ ich mich in einer Bar nieder, beobachte die Szenerie, treffe nahezu alle Pilger, die mir am Tag bereits begegneten und hatte mit allen einen kurzen Wortwechsel. Ich genieße die Gemeinschaft der Pilger untereinander. Diese Gemeinschaft wächst innerhalb kurzer Zeit zu einer Familie zusammen. Es besteht Austausch, wer, wen, wann auf der Strecke gesehen hat. Als Pilger fühle ich mich nicht alleine. In den Straßen herrscht ein geschäftiges Treiben, denn es ist Festa dei Ceri, das Kerzenfest. Die verschiedenen Teams der Stadtteile laufen alle zu ihren Treffpunkten, um anschließend gemeinschaftlich im Rhythmus ihrer Trommeln durch die Stadt zu ziehen.

Und jetzt gehe ich zum Abendessen, denn mein Magen jammert und knurrt nach den gut 27km und 780 Höhenmetern.

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Identität.

Pietralunga

Ich stehe um 7 Uhr auf und ärgere mich über mich selbst, denn meine Pilgerkappe ist weg. Vermutlich vergaß ich sie gestern Abend im Café am Rathausplatz. Als ich aufbrach war mein Fokus wohl woanders und ich ließ sie wohl einfach liegen. Im nächsten Moment bin ich traurig, denn seit 2010 war sie auf meinen Pilgerreisen dabei und ist Teil meiner Identität als Pilger.

Nachdem ich alles verstaut hatte, pilgere ich zuerst zu der Bar, wo meine Kappe geblieben sein könnte. Auf dem Weg dorthin versorge ich mich in einer Markthalle mit einer Tagesdosis Äpfel. Danach gehe ich zur Bar am Rathausplatz, ordere einen Cappuccino und ein Croissant und frage nach meiner Kappe. Es ist wie ein Wunder! Sie wurde gefunden. Die Kellnerin fischte sie in einem Nebenzimmer aus einem Müllsack, in dem jedoch offensichtlich keine Abfälle, sondern ausschließlich meine Kappe war. Ich war glücklich, denn nun kann ich beschwingt in den Tag starten. Außerdem verschafft es mir auch wieder einmal Vertrauen in meine Mitmenschen, die eben sorgsam mit Fundsachen umgehen.

Das Tagesziel ist Pietralunga und der Reiseführer beschreibt die Strecke als eher langweilig. Dementsprechend ein guter Tag, um den Fokus mal nach innen zu richten. Gemäß der Wegebeschreibung folgte ich dem Weg aus der Stadt. Dabei habe ich meinen Fokus wohl ein wenig zu früh nach innen gerichtet und folge erstmal einer anderen als der angegebenen Ausfallstraße. Die frohe Botschaft dabei: Ich habe es noch früh genug gemerkt. Also suche ich den Weg zur Route. Ich laufe mit stetiger Steigung weiter auswärts, dann durch Olivenhaine und Weinberge. Immer der wenig befahrenen Straße entlang. Der Weg ist prima ausgeschildert, obwohl mir ein paar Kilometerangaben eher fragwürdig erscheinen. Mal laufe ich 20 Minuten in flottem Tempo und der nächste Wegweiser zeigt bloß eine um 300m geringere Entfernung an als der vorherige. Dann laufe ich 5 Minuten und auf einmal soll ich 2 km gut gemacht haben. Sehr merkwürdig. Aber ich komme voran.

Die Temperaturen sind noch angenehm und die ersten 10 km bewältige ich bereits in zwei Stunden. Noch war ausreichend Kraft in meinen Beinen. Die Stöcke sind gerade bergauf eine willkommene Unterstützung, denn sie entlasten meine Beinmuskulatur. Nach 15 km komme ich an einen Brunnen und erfrische mich. Eine längere Pause will ich zu diese Zeitpunkt noch nicht machen. Ich laufe auf der Straße mit leicht welligen Höhenprofil und erfreue mich immer wieder an den herrlichen Fernblicken über die umbrische Hügellandschaft und auch zurück auf die Berge die ich bereits hinter mir ließ.

Zur Zeit meiner Jugend gab es unterschiedliche Gruppierungen, da gab es unter anderem die Rocker, die Teds, die Punks, die Popper und die Alternativen Ökos. Die Rocker hörten Hard Rock Musik, fuhren Motorräder, trugen Motorradlederjacken mit übergezogener Kutte (Jeansjacke mit abgeschnittenen Ärmeln und einem Logo auf dem Rücken), hatten oft lange Haare und waren auch in die ein oder andere Schlägerei verwickelt. Die Teds, hörten Rockabilly oder Rock’n’Roll Musik, trugen Kleidung aus den 50er Jahren, hatten eine coole Tolle, so wie Elvis Presley und tanzten gerne zu ihrer Musik. Die Punks waren die „No Future“-Bewegung, hörten Punk-Rock, hatten oft bunt gefärbte, hochgestellte Haare, teilweise mit Irokesenschnitt, Nieten und trugen Springerstiefel. Die Popper waren meist aus eher gut situiertem Elternhaus, fuhren Motor-Roller und trugen College-Schuhe. Die Ökos waren gegen Atomkraft und gegen die Startbahn 18 West am Frankfurter Flughafen, sie trugen ausgemusterte Bundeswehr Parkas, ausgewaschene Jeans und hatten tendenziell längere Haare.

Wenn man sich mit einer dieser Gruppen identifizierte, kleidete man sich entsprechend, um dazuzugehören. Für jeden Außenstehenden war dann auch recht schnell klar, welche Gesinnung bzw. Einstellung jemand hatte, wenn er sich entsprechend kleidete. Ich war irgendwo zwischen den Teds und den Punks, denn ich mochte einerseits Rock’n’Roll Musik und gleichzeitig sah ich auf dem Gymnasium nur wenig Zukunft für mich. Denn mich interessierte eher das zwischenmenschliche innerhalb des Klassenverbandes als der Lehrstoff.

Heute bin ich als Pilger, als Sinnsuchender, daran zu erkennen, dass ich einen Rucksack, Wanderstiefel und Wanderstöcke trage. Ich bin unrasiert und führe ein religiöses Zeichen mit. Hier auf dem Franziskusweg das „Tau“, auf dem Jakobsweg eine Muschel.

Aber das sind ja erstmal die äußeren Erkennungsmerkmale. Wenn ich im Alltag rasiert bin und einen Anzug trage, dann würde vermutlich niemand auf die Idee kommen, dass ich als Pilger auch gerne mal draußen in der Natur unter freiem Himmel übernachte. Was mich zu der Frage bringt woher erkennen andere „Wer ich bin“ und was macht mich eigentlich aus? Abgesehen von meiner Kleidung kann jeder erkennen, dass ich aufgrund heller Hautfarbe habe, der kaukasischen Rasse zugehörig bin. Dass ich aufgrund meines Bartwuchses und meiner kurzen Haare, männlichen Geschlechts bin und somit auch Sohn, ist heutzutage ja nicht mehr selbstverständlich, in meinem Fall jedoch völlig zutreffen. Auch wenn ich nicht alles akzeptiere, was mir seit Geburt alles mitgegeben wurde, mein Geschlecht schon.

Alles andere was zu mir gehört, dass ich Vater von drei Töchtern bin, welches Wissen, welche Fähigkeiten und Talente ich habe, welche Instrumente ich spielen kann, welche Sprachen ich beherrsche, welche Glaubenssätze mich begleiten, woran ich glaube, sprich wer ich bin, lässt sich nur im Gespräch mit mir herausfinden. Genau so wie ich andere nur über ein Gespräch für mich erschließen kann. Ebenso wie es der heilige Franz gemacht hat: Über das Sichtbare das Unsichtbare erschließen.

An einem Friedhof treffe ich ein holländisches Pärchen, das gerade im Schatten der Friedhofsmauer Pause macht. Sie liefen die Strecke ab Florenz bis La Verna in 2019 und wollten im darauffolgenden Jahr weiterlaufen. Sie sagt „doch dann bekamen wir Covid“. Ich dachte bei mir „Stimmt“ irgendwie bekamen wir alle Covid. Die einen erkrankten daran, manche starben und der Rest wurde mit Einschränkungen im täglichen Leben belastet. Pieve dei Saddi, die Landkirche der Heiligen machte einen recht unscheinbaren Eindruck. Ich lief darauf zu, um meine Wasservorräte aufzufüllen und zu pausieren. Freundlich wurde ich von einem Herren begrüßt und überrascht als ich um die Ecke bog. Dort waren eine kroatische Pilgergruppe, eine Italienische und eine deutsche Pilgergruppe. Außerdem traf ich dort das Medizinerpärchen und die Lehrerin.

Es war wuselig. Alle Getränke und sogar Mittagessen gab es hier auf Spendenbasis. An diesem friedvollen Ort hätte ich auch übernachten können. Ich besichtigte die Kirche, die so ansprechend schlicht war und die Krypta aus dem 5. Jahrhundert. Dort konnte ich es mir nicht nehmen lassen ein paar Mal Halleluja zu singen. Die Akustik war phänomenal. So langsam verließen die einzelnen Gruppen den Ort und es wurde ruhig. Ich nutze diese Ruhe zu einem Mittagsschlaf und verabschiedete mich gegen 14 Uhr. Es waren noch gut 10 km bis Pietralunga und ich dachte das sei ein Klacks. Weit gefehlt, denn nach 5 km bergab stieg es nochmal kräftig an. Auf dem Weg ins Tal traf ich wieder die Dänin, die bereits zu diesem Zeitpunkt sehr erschöpft war.

Als es zum Anstieg kam, trennten sich unsere Wege, da ich in meinem Tempo den Berg hinauflaufen wollte und sie in ihrem. Nach etwas 2km hörte ich von hinten einen LKW kommen, der qualmend den Berg hinauffuhr. Ich drehe mich um und sah auf dem Beifahrersitz die Dänin, die den LKW wohl kurzer Hand stoppte und sich so die Mühen dieses Anstiegs ersparte. Mit letzten Kräften laufe ich den Anstieg hinauf, muss jedoch alle paar Meter stehen bleiben, da doch nur noch Pudding in den Muskeln war. Ich bin glücklich als ich auf der Anhöhe Pietralunga sehe. Der Richtungspfeil deutet auf einen Feldweg und verspricht das Ziel sei in 1,2km erreicht. Allerdings führt der Weg nicht auf der gleichen Höhenlinie nach Pietralunga sondern erst noch in ein Tal, so dass ich mich nun wirklich mit aller letzter Kraft ins Stadtzentrum schleppe.

Refugio Pietralunga

Ich setze mich erstmal vor die Kirche, um mich zu erholen. Noch hatte ich keine Klarheit, wo das Rifugio ist, wo ich die Nacht verbringen möchte. Google Maps gibt mir einen Hinweis und als ich auf das Gebäude zulaufe, sehe ich schon die Dänin im Garten sitzen. Ein Italiener erklärt mir wie das alles funktioniert, ich beziehe mein Bett im Mehrbettzimmer und ruhe mich von den Strapazen erstmal aus. Dann folgt das übliche Programm. Duschen, Wäsche waschen und um 18:45 den Pilgerstempel abholen und die Spende abgeben.

Da bleibt noch ein wenig Zeit zum Erkunden. Pietralunga begeistert mich. Es ist ein schönes mittelalterliches Städtchen mit lebendigen Bars, einem Supermarkt, einem Eisenwarenladen und Hotels. Hier fühle ich mich sofort wohl.

Und jetzt gehe ich erstmal zum Abendessen, um ein paar der verlorengegangene Kalorien wieder auffüllen, die auf der heutigen Strecke von 32 km über 1.000 Höhenmeter sicherlich verloren habe.

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Hinterlassen.

Franziskusststatue

Als ich um 7 Uhr aufstehe bin ich der einzige Pilger im Zimmer. Der Italiener und die Dänin sind wohl bereits in tiefster Nacht los. Ich beginne den Tag mit der üblichen Zeremonie. Das heißt waschen, Zähne putzen, Sonnencreme auftragen, Rucksack packen und checken, dass ich hier im Raum kein Teil von mir hinterlasse. Als ich die Foresteria Santa Maria Dei Servi verlasse, scheine ich der letzte Gast zu sein. Ich mache mich auf ins wenige Meter entfernt gelegene Stadtzentrum und kaufe Obst im Alimentari. Anschließend gibt es einen Kaffee und ein Schinken-Käse-Panini im „Happy Cafe“ nebenan.

Ich laufe los und verlasse Sansepulcro. Der Weg verläuft erst an ein paar ansehnlichen und mit Videoüberwachung gesicherten Vorstadtvillen vorbei, führt dann kontinuierlich ansteigend durch Olivenhaine und Weinberge. Dabei genieße ich den atemberaubenden Blick über die Tiber-Ebene. Die Strecke ist gut markiert und ich komme nur an wenigen Stellen ins Stocken. Weiter führt der Weg im Wald an einem Bachlauf kontinuierlich aufwärts. Ich genieße den Weg mit jedem Schritt. Da kann ich mal den Bach überqueren, dann sind da kleine Wasserfälle mit ausgewaschenen Becken und teilweise muss ich auf dem Pfad ein wenig balancieren, da er so nah am Abhang verläuft. Der Pfad ist teils lehmig, teils felsig.

Auf der gegenüberliegenden Hangseite sehe ich wie etwas Dunkles den Hang hinauf eilt. Etwa wieder ein Wildschwein? Oha! Bei dem Gedanken, mir käme jetzt auf diesem Pfad eine Herde Wildschweine entgegen, wird mir mulmig. Ich wäre in den Tieren in der Geländegängigkeit deutlich unterlegen. Ich klappere präventiv eifrig mit meinen Stöcken. Vielleicht hat es gewirkt, vielleicht waren es überhaupt keine Wildschweine. Ich war wieder beruhigt.

Eremo Montecasale – Kreuzgang

Bereits um 10 Uhr erreiche ich Montecasale und mache einen Klosterrundgang. Eine Schulklasse erhält gerade eine Führung durch den Padre. Der heilige Franz hat wohl öfter hier übernachtet. Genau auf die Stelle wo sein Bett war ist man recht stolz und ehrt sie gebührend. In einer Nische werden Bücher und Anhänger gegen Spende verkauft. Ich suche ein kleines Tau aus, welches ich fortan um den Hals trage.

Hilflos verlasse ich das Kloster, denn ich bin unsicher in welcher Richtung ich der Weg nach Citta di Castello verläuft. Mit der Beschreibung in dem Reiseführer kann ich nicht viel anfangen. In der Ferne erkenne ich einen grünen Pfeil dem ich vertraue und weiter aufwärts folge.

Ich freue mich total, wie ich mich innerhalb dieser Woche körperlich entwickelt habe. Der Aufstieg erscheint mir nicht mehr so anstrengend wie die Tage zuvor. Auch meine Rückenschmerzen haben nachgelassen. Während ich so pilgere, frage ich mich, was ich eigentlich mal hinterlassen will, wenn ich diesem Planeten verlasse. Ich denke es wird Zeit, dass ich mich damit auseinandersetze, denn meine Verweilzeit wird wohl nur noch 20 bis 30 Jahre betragen. Wenn ich mir überlege wie rasch die vergangenen 10 Jahre vergangen sind, ist das eine übersichtliche Zeitdauer. Meine Ersparnisse für alle Notfälle können sich meine Kinder untereinander aufteilen, aber was hinterlasse ich sonst außer den Überresten meines Körpers? Was möchte ich, dass man auf meinen Grabstein meißelt?

Der heilige Franz lebte vor 800 Jahren und seine Geschichten, seine Regeln sind seitdem lebendig. Alleine der Bruch mit seinem Vater, wo er sich auf einem Markplatz nackt auszog, um seinem leiblichen Vater alles zurückzugeben, was er von ihm hatte .

Der Gedanke bringt mich zu meinem Vater, was hat er mir hinterlassen? Zum einen sind da viele Erinnerungen, wie er mir Schwimmen beibrachte und auch Erinnerungen an meine Brüder aus erster Ehe meines Vaters. Die haben sich nicht mit einem radikalen Bruch von meinem Vater losgesagt, sonder eher langsam aus dem Leben geschlichen. Sie meldeten sich nicht mehr und reagierten auch nicht mehr auf Anrufe. Das betrübt mich. Denn es gab eine Zeit, wo ich viel Spaß mit meinen Brüdern hatte und auch alleine etwas mit ihnen unternahm. Der Mangel an Klarheit betrübt mich. Vielleicht lag es an dem Verhältnis zu ihrer „Bonus“-Mutter, die immer wieder kommentierte was die leibliche „Bauch“-Mutter wohl alles falsch machte. Apropo Bonus: Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass meine Brüder meine Mutter wirklich als „Bonus“ erlebten, obwohl sie auch meinen Brüdern gegenüber fürsorglich war.

Mein Vater war ein Mann mit Humor, der für die Familie sorgte und alles dafür gab, dass es seiner Familie an nichts fehlt. Von ihm lernte ich Schwimmen, Fahrrad fahren und zudem war er mein zuverlässiger Berater in vielen Lebensfragen. Auch habe ich von meinem Vater gelernt, dass ein Gedicht immer vier Komponenten enthalten sollte. Nämlich etwas lyrisches, etwas romantisches, etwas logischen und etwas tragisches. Als Beispiel nutzte er gerne folgenden Vers:

Zwei Mädchen jung und unberührt (das ist lyrisch.),
wandelten durch einen Rosengarten (das ist romantisch),
die eine wurde gleich verführt (das ist logisch),
die andere musste warten (das ist tragisch).

(Horst Schmitt *1928 +2007)


Ich finde es noch immer amüsant und gleichzeitig bin ich verunsichert, ob es in die heutige Zeit passt in der die Rollen von Mann und Frau anders gesehen werden als noch vor 60 Jahren. Und das ist auch gut so, denn ich wünsche mir eine Gleichstellung der Geschlechter in allen Bereichen. Warum sollten nicht auch einmal junge und unberührte Männer romantisch durch einen Rosengarten wandeln und verführt werden?

Den heutigen Höhepunkt habe ich überschritten und die Toskana verlassen. Ich bin in Umbrien und die kommenden 15 Kilometer sollte es überwiegend bergab gehen, so dass ich meinen Gedanken wieder freien Lauf lassen kann. Ich hoffe ich kann meinen Kindern ebenfalls die Erinnerung an gemeinsame Erlebnisse erhalten wie die Vater-Kind-Freizeiten, das Adventsbasteln, die gemeinsame Tour durch Frankreich oder die gemeinsame Tour durch England. Vielleicht kann ich für meine Töchter auch ein Rollenmodell dafür sein, was sie von einem Mann erwarten können. Und welche Eigenschaften sie auf keinen Fall bei ihrem Partner haben wollen. Ich merke gerade, dass ich mich bei diesem Thema noch weiter austoben könnte und verzichte zugunsten meiner Reiseerlebnisse.

Es geht über eine Piste den Hügel hinunter. Ein LKW kommt mir entgegen und wirbelt trotz achtsamer Fahrweise jede Menge Staub auf. Auf meiner Haut entsteht eine Kruste aus Sonnencreme, Schweiß und Staub. Celalba ist das erste umbrische Dorf, dass ich erreiche. Nach 20km wurde es auch langsam Zeit, denn ich hoffe schon lange auf eine Bank, auf der ich meine Pause machen kann. Hinter der Dorfkirche werde ich fündig und verspeise erstmal mein Obst und mache danach ein Nickerchen.

Am Himmel stehen mindestens drei Sonnen und die Temperaturen sind bei 28 Grad. Ich mache mich wieder auf den Weg und fülle meinen Wassersack am örtlichen Brunnen auf. Es sind ja nur noch 7 Kilometer, denke ich und laufe durch die fruchtbare Ebene. Links und rechts des Weges ist überwiegend Ackerland. Die Bauern bringen Salat-Setzlinge aus. Ich laufe weiter und weiter. Meine Konzentration lässt nach und ich beginne Wegweiser zu übersehen und verlaufe mich. Ich navigiere auf meinem Smartphone meinen eigenen Weg und folge dem Verlauf der Straße. Wechselweise weiche ich den Autos oder sie mir aus. Ich bin einfach mit meinen Kräften am Ende und die 7 Kilometer sind längst gelaufen. In Titta ist eine Bar geöffnet und ich gönne mir ein alkoholfreies Bier und eine Cola, die ich erst zusammen- und dann in mich hineinschütte.

Ich breche direkt wieder auf, denn ich kann es kaum erwarten anzukommen und den Rucksack abzuschultern. Um 17:30 bin ich bei dem Monastero delle Klarisse. Genau 15 Minuten vor Pfortenschluss und erhalte gegen eine Spende von 20€ einen Pilgerstempel und ein Bett im Zweibettzimmer.

Citta di Castello - Rathaus
Citta di Castello – Rathaus

Ich freue mich erstmal über eine ausgiebige Dusche bevor ich mich zu einer Altstadterkundung von Citta di Castello aufmache. Die Highlights sind der Dom und der Rathausvorplatz. An letzterem setze ich mich in eine Bar, um das quirlige Treiben zu genießen. Am Nachbartisch war erst eine Gruppe älterer Männer, die mit einem Bier den Feierabend einläuteten. Später wechselte die Gesellschafft und eine Mädelsgruppe feierte lautstark irgendetwas mit Sekt.

Gerade entdeckte ich die Lehrerin und rufe ihr zu. Sie gesellt sich kurz zu mir und wir tauschen unsere Erlebnisse der vergangenen Tage aus. Seit La Verna hatte ich sie nicht mehr gesehen. Wir verabschieden uns und ich finde noch eine Pizzeria, um meinen Hunger zu stillen. Dabei bin ich dankbar für meinen Gesundheitszustand und meine Fitness. Ohne beides könnte ich diese Pilgerreise nicht genießen.

Was ich einmal hinterlassen werde weiß ich trotz der Strecke von 32 km mit 1.100 Höhenmetern immer noch nicht. Vielleicht rede ich mal mit meinen Kindern, wenn ich von meiner Pilgerreise zurück bin. La Verna, die umliegende Natur und der Weg haben auf alle Fälle bei mir ein Gefühl von Leichtigkeit hinterlassen.

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Gehorsam.

Bad im Tiber

Gehorsam ist ein weiteres Prinzip des Heiligen Franz. Wenn ich alleine das Wort Gehorsam höre, merke ich wie Unbehagen in mir aufsteigt und mein inneres Kind beginnt zu rebellieren. Warum? Vermutlich weil ich eher an das denke was mir blüht, wenn ich eben nicht gehorsam bin.

Um 7:30 gehe ich zum Frühstück und es wartet ein reich bestücktes Frühstücksbüffet auf mich. Ich wähle einen Platz auf dem Balkon und genieße den Ausblick. Es wird ein Cappuccino serviert und ich bediene mich mit Weißbrot, Käse, Salami und Marmelade. Danach gibt es noch ein wenig Quark in den ich mir eine frische Kiwi schnippele. Das war zwar nicht enthaltsam, aber lecker und stärkend. Am Nachbartisch sitzt ein Pärchen und unterhält sich in Englisch. Aus der Hosentasche der Frau ragen Pilgerpässe.

Ich komme mit Ihnen ins Gespräch. Sie starteten in La Verna und unternehmen die Tour voll organisiert. Das heißt alle Zimmer wurden bereits gebucht und das Gepäck wird transportiert. So genießen sie die Etappen mit leichtem Gepäck. Es war lustig. Er ist 65 und ging gerade in Rente. Er arbeitete in einer Softwarefirma im Marketing und berichtete von den zahlreichen Konflikten. Der Service beschwert sich beim Vertrieb, weil das was der Vertrieb vom Marketing verstanden hat nicht funktioniert, die Entwicklung beschwert sich beim Service, weil der Kunde die Software nicht so nutzt wie sie ursprünglich gedacht war und der Kunde beschwert sich, weil die Kosten der Implementierung den erhofften Nutzen übersteigen. Und aus Gehorsam darf keiner dem Kunden sagen, dass seine Anforderungen nicht umsetzbar sind.

Wenn ich mich einer Gemeinschaft anschließe, so erkläre ich mich einverstanden auch die Regeln dieser Gemeinschaft zu akzeptieren und diese Werte für mich zu übernehmen. Wenn die Regeln und Werte der Gemeinschaft nichts für mich sind, dann sollte ich vielleicht besser die Finger davon lassen. Am besten stellt man direkt beim Bewerbungsgespräch die Frage „Wie aufrichtig ist das Unternehmen seinen Kunden gegenüber?“

Ich höre heute erstmal auf meine innere Stimme die mir sagt, dass ich nach dem Frühstück erstmal aufbreche. Gehorsam folge ich meiner inneren Stimme, packe meine Rucksack, begleiche die Rechnung und ziehe los. Noch ist es von den Temperaturen angenehm und ich folge dem Verlauf der Hauptstraße. Sie verläuft erst bergab, dann leicht bergan und verlief im weiteren Verlauf auf Forst und Wiesenwegen. Die Steigung ist so angenehm, dass ich zügig vorankomme. Der Weg ist auch so gut markiert, dass ich den Wanderführer kaum brauche.

Am Monte Fungaia treffe ich die dänische Pilgerin, die ich bereits gestern beim Abendessen traf. Sie startete vor einigen Jahren in je zweiwöchigen Etappen in Dänemark, pilgerte bereits durch Deutschland und ist jetzt auf dem letzten Stück nach Assisi unterwegs. Wir plauderten und pilgerten die Strecke bis zum Lago die Montedoglio gemeinsam. Dann trennen sich unsere Wege, da ich gerne im See baden möchte. Ich fragte einen Bauern und der erklärte mir, dass das Baden im See bei Geldstrafe verboten sei. So ließ ich mein Vorhaben fallen und pilgerte weiter. Der Weg folgte der wenig befahrenen Straße und ich hatte stetigen Blick auf den Stausee, der unter anderem vom Tiber gespeist wird. Ich bin gerade begeistert, denn ich bin jetzt bereits von Arno zum Tiber gepilgert und der Tiber fließe.

Nach drei Stunden sehe ich am Ufer des Tiber einen wartungsbedürftigen Rastplatz und entscheide mich nach drei Stunden pausenlosen Pilgern zu einer Rast. Immerhin habe ich bereits 16 km zurückgelegt. Während ich meine Äpfel esse kommt die Dänin vorbei. Sie hatte sich direkt nach der Staudammbrücke verlaufen. Sie machte kurzer Rast und lief weiter. Ich genoß die Ruhe bis sich das deutsche Pilgerpärchen, welches ich in La Verna bereits kurz traf, ebenfalls zu mir gesellte. Wir tauschten uns über die Unterkunft aus. Sie trafen ebenfalls die Schulleiterin und das englischsprachige Pärchen, dass ich morgens beim Frühstück traf. Mir gefällt es, dass sich die Pilger auf dem Weg immer wieder begegnen.

Ich verabschiede mich und pilgere alleine in meinem Tempo auf dem Tiberdamm weiter. Die Strecke ist gerade ein wenig eintönig: schnurgerade und flach auf einer staubigen Piste. Ich schalte meinen Autopiloten ein und ziehe zügig mit dem Takt meiner Stöcke weiter.

Beim Heilgen Franz war es einfach. Er stellte Gehorsam als Regel auf und jeder der sie anerkannte gehörte dazu. Wie verhält es sich mit Gehorsam in einer neu gegründeten Gemeinschaft, wie einer Wohngemeinschaft oder Partnerschaft. Wird da von Anfang an über gemeinsame Werte und Regeln geredet, welchen man im Verlauf des Zusammenseins folgt? In Gehorsam steckt auch irgendwie Hören. Sich erstmal gegenseitig achtsam zuzuhören ist da durchaus hilfreich. Richtig zuhören, heißt nicht nur mit den Gedanken sondern auch mit dem Herzen. Und richtig zuhören heißt auch erstmal auf sich selbst hören und achten was bei mir selbst vorgeht.

Mir geht es gerade prächtig. Ich schwitze bei den Temperaturen von 26 Grad ein wenig, aber Ich verspüre noch keine Müdigkeit in den Muskeln. Allerdings bin ich frustriert, dass es unterwegs keinen Shop oder Brunnen gibt, wo ich meine Wasservorräte die in der Mittagspause zu neige gingen hätte auffüllen können. Mein Rücken schmerzt in Höhe der Brustwirbelsäule ein wenig. An meinen Füßen hat sich innerhalb der vergangenen Woche noch keine einzige Blase gebildet. Nur der kleine Zeh ist ein wenig geschwollen. Also alles in allem „tutto bene“.

Der Weg führt von dem Tiber-Damm zu einem Kieswerk und anschließend wird es ungemütlich, denn ich komme in ein Industriegebiet und laufe am Randstreifen einer Bundesstraße dem Feierabendverkehr entgegen. Jetzt gilt es wieder die Aufmerksamkeit nach außen zu richten. Ich freue mich, dass ich nach ca. 2km diesen Streckenabschnitt hinter mir lassen kann und das Stadtzentrum erreiche. Die Frage nach meiner Unterkunft klärt sich schnell, denn ich passiere die Foresteria Santa Maria dei Servi http://www.santamariadeiservi.it/ und checke direkt gegen eine Spende ins Dormitorio ein.

War ich überrascht, dass es sich die Dänin bereits im 6 Bettzimmer gemütlich gemacht hat? Ich erledige gehorsam meine täglichen Pilgeraufgaben wie Stempel organisieren, Duschen und Wäsche waschen. Danach erkunde ich die Stadt und mache es mir erstmal in einer Bar gemütlich und stille meinen Durst mit einem spritzigen Acqua Frizzant und einer Cola. Dabei schreibe ich meine Notizen während ich das geschäftige Treiben beobachte. Sansepulcro hat einen Dom und eine pittoreske Altstadt mit kleinen gemütlichen Bars und Restaurants.

Ich entscheide mich für GentilRosso. Hier gibt es sogar BioBier. Mein Körper scheint aufgrund der Vitamine wieder Salat zu verlangen. Als Hauptgericht verlangt mein Körper Ravioli mit Wildschweinragout. Ich bestelle gehorsam, ich fürchte ansonsten werde ich morgen mit Kraftlosigkeit bestraft.

Heute lief ich 25km und überwand 450 Höhenmeter auf der Strecke von Caprese nach Sansepolcro.

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Frieden.

Eremo della Casella

Meine Nacht im Schlafsaal war angenehm. Erst in den Morgenstunden waren die Vitalgeräusche der vier anderen Männern und der einen Frau wahrnehmbar. Einer stach besonders hervor, denn er konnte synchron Schnarchen und Pupsen sowie Grunzen und dabei erstaunlich laut atmen. Die ersten kruschpelten auch schon so ab 5 Uhr herum. Ich versuchte noch weiter zu ruhen. Ich habe immer noch keine Klarheit welchen Weg ich einschlagen werde. Jeder Reiseführer hat einen anderen Routenvorschlag. Ich denke ich werde wieder der Markierung folgen und lasse mich überraschen wohin sie mich führen wird.

Ich erhalte eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter meines Smartphones und erfahre, dass meine Mutter vergangenen Nacht ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Verdammt! Denke ich mir. Was ist da los? Ich spüre wie mein ganzer Körper in Alarmbereitschaft ist. Der Frieden, den ich gestern noch in mir trug wandelte sich in Unfrieden. Ich brauche zunächst einmal Klarheit was los ist und rufe beim Krankenhaus an. Dort erfahre ich lediglich, dass ich in einer Stunde nochmal abrufen soll.

Ich bin in Aufruhr und denke bereits über Plan B nach. Notfalls müsste ich meinen Pilgerweg beenden, mit dem Taxi nach Florenz fahren und mit dem nächsten Flieger heimfliegen. Worst Case! Ich versuche mich selbst zu befrieden. Ich denke es ist verständlich, dass ich beunruhigt bin. Auf einer Skala von 1-10, wobei 10 maximal beunruhigt ist versuche ich mich einzuordnen. Wenn ich bedenke, dass meine Mutter alleine im letzten halben Jahr ca. sechsmal mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus kam und spätestens am darauffolgenden Tag wieder entlassen wurde, entspanne ich ein wenig und ordne mich auf der Skala so bei 4 ein. Was mir dennoch fehlt ist die Klarheit.

Ich gehe zum Frühstück. Der Tisch sieht sehr übersichtlich aus und mir scheint ich darf mich weiter in Enthaltsamkeit üben. Es gibt zwei Zwieback, zwei Kekse, Erdbeermarmelade, Nusscreme, Honig und Butter. Dazu kann ich aussuchen, ob ich Kaffee oder Tee haben möchte. Ich wähle Kaffee. Danach packte ich meine Sachen und pilgere los.

Ich entscheide mich für den Weg, den der heilige Franz 1224 in schlechtem Gesundheitszustand lief, um zurück nach Assisi zu kommen. Ich lief erstmal den Berg hinunter nach Chiusi della Verna, durchquerte das Tal und steig auf der anderen Seite zum Monte Foresto wieder hinauf. Frieden trug ich gerade keinen in mir. Die Gedanken was mit meiner Mutter sein könnte blockieren mein Vorwärtskommen. Franz hatte den Weg gewählt sich von seinem Vater in harter Konfrontation loszusagen und hatte weder Frau noch Kinder. So lässt es sich leicht in Frieden leben, wenn man nur seinen eigenen Regeln folgt. Mein Weg ist an dieser Stelle jedoch ein anderer.

Und aktuell geht mein Weg mal wieder so steil nach oben, dass ich ihn noch nicht mal mit einem e-Mountainbike fahren könnte. Ich kämpfe mich Meter um Meter den Berg nach oben und dabei fällt mir auf, dass ich schon lange keine Markierung mehr gesehen habe. Der im Reiseführer beschriebene Forstweg endet vor einen Nadelwald.

Gut, denke ich, dann versuche ich erstmal Klarheit zur Lage daheim zu bekommen. Ich erfahre, dass meine Mutter wieder daheim ist und telefoniere kurz mit ihr. Jetzt wo ich klar sehe was meine Mutter betrifft, kümmere ich mich wieder um meine unklare Lage vor Ort. Ich bin verzweifelt und schreie laut in den Wald „Herr, sende ich mir ein Zeichen!!!“ Kurz darauf schickte mir der Herr ein GPS Signal auf mein Mobiltelefon und ich wurschtele mich durch bis zum nächsten Weg. Ich bin dankbar, für Googles Unterstützung.

Auf klar markierten Weg pilgere ich in Frieden weiter zur Eremo della Casella auf 1.241m über NN. Ein herrliches Fleckchen Erde friedvoll, ruhig mit Fernblick bis ins Tibertal. Hier verweile ich, mache eine Pause, genieße die Stille, den Fernblick und einen Apfel. Die Eremo della Casella ist offen. Sie besteht aus einem schlichten Kirchlein und angebautem Haus, das mit Tischen und Stühlen eingerichtet ist. Auch das wäre ein geeignetes und willkommenes Nachtlager.

Für heute müsste es das mit den Steigungen gewesen sein. Auf einer bequemen, breiten Forststraße pilgere ich in kontinuierlichem Tempo bergab. Beim Weg brauche ich mich kaum zu konzentrieren, nicht auf jeden Schritt achten. Meine Stöcke geben den Takt vor klick-klack, klick-klack. Wie in Trance zieht der Weg unmerklich an mir vorbei. Das Gewicht des Rucksacks spüre ich kaum. Es geht einfach immer so weiter. Kennst Du das aus Deinem Alltag? Alles läuft irgendwie und die Zeit vergeht. Als ich in Caprese Michelangelo ankomme, kann ich mich kaum an die vergangenem 10 km erinnern. Zügig zogen sie völlig unspektakulär vorbei. Die intensiven, schwierigen Strecken, wo ich an meine Grenzen stieß und mich verlief, verzweifelt war und nicht mehr weiter wusste, die sind mir noch sehr wohl in Erinnerung. Das bewusste Gehen jedes Schrittes, das Rückblicken auf Geschafftes und das Genießen der Aussichten das bleibt in Erinnerung.

Die Wetterlage ist gerade ein wenig unbestimmt und in Caprese kommen die ersten Regentropfen. Ich will vor dem Regen flüchten und steuere das Geburtshaus von Michelangelo. Auf dem Weg dorthin spricht mich eine blonde Frau auf Englisch an. Sie pilgert ebenfalls. Zu einem längeren Gespräch habe ich aufgrund des einsetzenden Regens gerade keine Lust und besichtige das Geburtshaus von Michelangelo. Außer dem Haus selbst und einem Dokumentationsfilm, sind einige Skulpturen von zeitgenössischen Künstlern und auch Kopien einiger Statuen von Michelangelo ausgestellt. Ich bin beeindruckt von deren ästhetischer Schönheit.

Ich weiß noch nicht wo ich die Nacht verbringen kann und mache in Caprese erstmal einen Rundgang. Irgendwie entdecke ich spontan keinen geeigneten Übernachtungsplatz. Ich laufe hin und her und mag erstmal in einer Pizzeria meinen Hunger stillen. Aber dort erfahre ich das Dienstag nachmittags die Küche kalt bleibt.

So pilgere ich vom Ortsausgang zurück in Richtung Michelangelos Geburtshaus, wo sich das Gasthaus Buca di Michelangelo befindet. Dort trinke ich erstmal ein Bier. Der Wirt bietet mir ein Zimmer an. Erst für €50, nach meinem hilfesuchenden Blick für €40. Ich gehe auf sein Angebot ein, dusche und gehe zum Abendessen. Dort sehe ich auch die blonde Frau, eine Dänin und wir kommen ins Gespräch. Sie startete ihre Pilgerreise vor Jahren direkt an ihrer Haustüre in Dänemark und hat bereits Deutschland und Österreich durchquert. Sie pilgert jedes Jahr ca. zwei Wochen und möchte in diesem Jahr nach Assisi.

Mit Freude genieße ich das, was ich heute geschafft habe und auch mein Einzelzimmer kann ich genießen. Mein Körper hat sich so langsam mit dem Gewicht des Rucksacks arrangiert und ich lasse den Abend in Frieden ausklingen.

Pace e Bene.

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Enthaltsam.

LaVerna

Enthaltsames Leben ohne Eigentum. Ist eine der Regeln die der heilige Franziskus aufstellte. Ich übe mich auf dem Weg in Enthaltsamkeit, habe nur das vermeintlich nötigste dabei und versuche meinen Pilgeralltag in Bescheidenheit zu verbringen. Die Nacht verbrachte ich in der ausgedienten Pizzeria und dank meiner Erschöpfung und dem sonoren Brummen der Coca-Cola Automaten schlief ich recht schnell ein. Um 6 Uhr war ich ausgeschlafen und fühlte mich fit, so dass ich direkt auf den kurzen, dafür steilen und steinigen Weg auf nach La Verna aufbreche. Da ich schon auf ein üppiges Abendessen verzichtete, ließ ich jetzt auch das Frühstück ausfallen. Meine Körpereigenen Reserven werden mich sicherlich die 600 Höhenmeter überwinden lassen.

Auch wenn die Sonne bereits am Himmel stand, so war es im Tal um diese Zeit noch recht frisch. Ich marschierte los und folgte der Wegemarkierung des Franziskusweges. Nach mehr als einem Kilometer wunderte ich mich, dass ich den Fluss noch nicht an der Stelle erreicht habe, wo mein Wanderführer versprach, dass man Schuhe und Strümpfe ausziehen müsse, um durchzuwaten. Egal, so nahm ich die Alternativroute über eine Brücke. Ein Wegweiser versprach, dass es bis La Verna bloß sechs Kilometer sind. Der Weg ist mit großen Steinen gepflastert und windet sich kontinuierlich den Berg hinauf. Bei jedem Schritt kippen meine Wanderstiefel in eine andere Richtung weg. Dennoch kann ich die ersten 200 hm dank meiner Stöcke noch recht mühelos bewältigen. Doch dann wird der Weg noch steiler und steiniger und ich bleibe nach jedem zwanzigsten Schritt erstmal stehen, um zu verschnaufen.

Mein inneres Kind fragt ständig: „ Wann sind wir endlich da?“ Von meinen Eltern enthielt ich häufig die Antwort: „Es dauert nicht mehr lang, gleich sind wir da.“ „Und was ist wenn wir da sind?“ fragt mein inneres Kind weiter und meine Eltern antworteten oft so was wie „Wenn wir da sind gibt es Kuchen!“ Alternativ auch Eiscreme oder Pommes. Je nach Ziel. Irgendwie bin ich so konditioniert, dass es nach jeder Anstrengung auch eine Belohnung gibt. Ich fürchte, so habe ich das auch an meine Kinder weitergegeben. Zumindest die Antwort „Gleich sind wir da“. Dank der Pulsuhr, die mir meine Laufpartnerin als Leihgabe mit auf den Weg gab, kann ich mir selbst jetzt qualifizierte Antworten geben. Ich weiß, es sind noch 200 weitere Höhenmeter aufzusteigen, der Poggio Montopoli ist fast erreicht. Kurz darauf wird der Weg flacher und vor mir ist der Weg sehr matschig.

Erst denke ich, dass auch ein guter Weg durch so manchen Schlamassel führt. Dann denke ich, das schaut so aus als hätten hier Wildschweine ihr Unwesen getrieben. Der Gedanke war noch nicht zu Ende gedacht, da erblicke ich zu meiner Rechten ein prächtiges Exemplar Wildschwein, das mich zum Glück zuerst entdeckt und das Weite sucht. Ich bleibe stehen und blicke in den recht lichten Waldhang. Dort sind unzählige Wildschweine mit kleinen Frischlingen! Mein Puls steigt schlagartig an, mein Blutdruck vermutlich auch. Am Ende muss ich jetzt nicht nur gegen meinen inneren Schweinehund kämpfen sondern unter Umständen noch mit einer Rotte Wildschweine. Ich klopfe meine Wanderstöcke gegeneinander, um mich bei den Wildschweinen bemerkbar zu machen. Dem Herrn sei Dank, dass die Wildschweine meine Geräusche erhören und eins nach dem anderen den Abhang nach oben flüchtet.

Erfreulicherweise ist der Weg jetzt ein wenig flacher und ich komme an eine Straße, die ich überquere. Aus einem nahegelegenen Tümpel höre ich das Gequake von Fröschen. Ich freue mich, denn dir Frösche stellen wohl keine Gefahr dar.

La Ghiacciaia
La Ghiacciaia – Der Kühlschrank im Zauberwald.

Wenn ich gerade so in meinen Körper hineinspüre bemerke ich, dass meine Beine wie aus Pudding sind. Meine Trecking-Stöcke bringen mich nicht mehr voran, sondern verhindern nur noch, dass ich bei meinem schwankenden Gang nicht umkippe. Der Weg führt abermals durch einen verwunschenen, mystischen Zauberwald, der aus dem Zauberer von Oz oder den Hobbits entsprungen sein könnte. Die Felsformationen waren mit Moos überzogen und ergaben bizarre Gebilde. In diesem Umgebung stieg mein guter Weg nur noch unmerklich an und kurz darauf erblickte ich das Kloster La Verna wo der Heilige Franziskus lange Zeit verweilte. Nach einem mühsamen Aufstieg kam ich auf das Klostergelände.

Es ist gerade mal 10 Uhr morgens und ich nutze den Tag, um mich auf dem Gelände umzuschauen und genieße die Fernsicht von 1130m. Es ist umwerfend was es hier alles zu sehen gibt. Kleine Kapellen, Wandgemälde die Geschichten aus dem Leben des Hl. Franz erzählen. Ich besuche die Messe und freue mich, dass zum Eingang „Großer Gott wir loben Dich“ auf italienisch gesungen wird. Es ist ein wahnsinnig entspannter Ort um zu Verweilen und zu Entspannen. Ich bleibe enthaltsam und gönne mir nur einen Caffè und eine Cola.

Um 12 Uhr kann ich mein Mehrbettzimmer beziehen. Ich genieße den Luxus, dass ich der erste bin und mir das Bett aussuchen kann. Ich sichere mir direkt den Fensterplatz und mache mich daran meine Wäsche und mich selbst zu waschen. Danach mache ich mich auf Erkundungstour, verweile auf dem Klosterplatz und lese das Büchlein „Pace e Bene“, welches mir meine Partnerin mit auf den Weg gab. Es finden sich immer mehr Pilger ein.

Um 15 Uhr ist wieder eine Messe mit Prozession der ich folge. Sie führt von der Klosterkirche in die Kapelle der Stigmanta. Die Legende besagt nämlich, dass der heiligen Franz hier in La Verna von einem sechs-flügeligem Engel, einem Seraphin, welcher an Schönheit nicht zu übertreffen war, die fünf Wundmale empfangen hat. Die Wundmale waren genau an jenen Stellen, an welchen Jesus seine Wundmale bei der Kreuzigung hatte. Was den Schluss zulässt, dass Franz dadurch ein ebenbürtiger Nachfolger von Jesus Christus sei. Natürlich gibt es andere Stimmen die vermuten lassen, dass sich Franz die Stigmata in einem Zustand der Ekstase selbst beigebracht hat, aber die Story mit dem Engel ist natürlich irgendwie eindrucksvoller.

Bis zum Abendessen bleibe ich weiter enthaltsam und komme ins Gespräch mit anderen Pilger:innen. Es ist ein tolles Gefühl, das Ziel früh zu erreichen und den Rest des Tages zu genießen. Es ist auch ein tolles Gefühl, zu spüren wie die Rückenschmerzen langsam nachlassen.

Ich war heute mit der Nahrungsaufnahme enthaltsam und freue mich gleich auf das Abendessen. Ich war enthaltsam mit Ärger und Frustration über mich, habe die Anstrengung bewusst wahr- und angenommen. ich habe enthaltsam ein Mehrbettzimmer belegt und gerade genieße ich ganz bewusst die letzte Sonnenstunde.

Heute bin ich nur die 660 Höhenmeter über eine Strecke von 8,5 Km nach La Verna aufgestiegen.

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Danken.

Einsiedelei Camaldoli

Heute bin ich vor allem mal eins: Dankbar. Ich weiß, der Dank kommt üblicherweise erst zu Schluss, aber ich denke es ist gerade mal dran. Ich möchte allen danken, die mich mental auf dem Weg begleiten, mir ein gutes Gelingen, starke Muskeln und Durchhaltevermögen wünschen. Meiner Mutter danke ich, für alles was sie für mich getan hat und auch für ihre Zweifel. Diese Zweifel haben mich schon manches Mal in meinem Leben vor Übermut geschützt und so konnte ich eine ausgewogenen Balance von Risikobereitschaft und Achtsamkeit entwickeln. Denke ich zumindest. Ich möchte auch jenen danken, die mir Grenzen setzten oder mich frustrierten, denn ohne jene wäre ich nicht auf dem Weg. Na, und irgendwie bin ich selbst ja einer von jenen.

Ich übernachte in meiner Hängematte und wache ohne Wecker auf. Nach dem mir das Holländerinnen-Trio gestern beim Abendessen die Sacro Eremito di Camaldoli schmackhaft machte, räume ich meine sieben Sachen zusammen, nehme in der nahegelegenen Bar einen Espresso als Frühstück und zog los. Es sind direkt 300 hm zu überwinden. Der Weg führt durch ein wildromantisches Tal mit Bachlauf, bemoosten Felsen und Bäumen. Beim Weg habe ich die Wahl: ein Asphaltsträßchen oder den steileren, steinigen Waldweg. Der Waldweg erfordert Trittsicherheit, ist anstrengender und dafür kürzer, während das Sträßchen mit konstanter Steigung nach oben führt. Ich entscheide mich abzuwechseln, bin jedoch überwiegend auf der Straße. Die Ruhe die durch Vögelgezwitscher unterbrochen wird genieße ich. Eine Joggerin kommt mir mit Babyanhänger entgegen. Ich bin überrascht, dass ich schon nach knapp einer Stunde die Sacro Eremito erreiche.

Ich mache einen Rundgang durch die Sacro Eremito und genieße weiterhin die Ruhe. Eine Pilgergruppe sitzt im Garten der Eremita und singt zu Gittarrenklängen. Als ich die Eremita verlasse, ist es weniger ruhig. Eine Gruppe von Männern mit Tarnkleidung, orangenen Westen und Geländewagen quatscht wild durcheinander. Eine Jugendgruppe wartet und nacheinander steigen ein paar Jugendlichen zu den Männern in Tarnkleidung in deren Geländewagen. Dann fahren sie los. Mir scheint es geht hier um Walderfahrung, Tierbeobachtung oder ähnliches.

Ich breche auf und stelle nach kurzer Zeit fest, dass die größte Gefahr im Wald nicht die Wölfe oder Wildschweine sind sondern die Mountainbiker, die mir auf einem schmalen, gerölligen, steilen Pfad entgegenkommen. Zum Glück konnte ich rechtzeitig mit einem Rettungssprung ausweichen. Ich bin dankbar, dass die Mountainbiker sich durch lautes Rufen ankündigen und ich in diesem Moment aufmerksam war.

Dankbar kann ich zunächst in Stille sein. Wenn ich mir bewusst werde, wofür ich gerade dankbar bin, spüre ich wie sich meine Stimmung aufhellt und sich meine Muskulatur entspannt. Vielleicht bin ich dankbar für eine Intuition, vielleicht dankbar für meine Selbstdisziplin durch die ich meine körperliche Fitness aufgebaut habe, vielleicht bin ich dankbar für einen Brunnen mit frischem, kühlen Wasser, vielleicht auch für einen Regenschauer, der die Natur wässert damit Pflanzen und Wiesen aufblühen. Ich bemerke ein leichtes Grinsen, eine Fröhlichkeit zieht in mir auf. Wenn ich einem besonderen Menschen dankbar bin, dann profitieren beide, wenn ich dem anderen Menschen meine Dankbarkeit ausspreche. Das besteht vielleicht nur darin, dass ich „Danke!“ sage oder aber, dass ich ganz konkret benenne, wofür ich gerade dankbar bin. Gerade wird es mir wichtig meine Mutter anzurufen und ihr zu sagen wie dankbar ich für ihre Fürsorge bin.

Ich pilgere durch einen mystischen, heiligen Wald. Wenn ich meinen Blick durchs frische Grün streifen lasse, gesellt sich zum Schmerz der Anstrengung ein unbeschreibliches Glücksgefühl und ich bin dankbar, genau das hier und jetzt zu erleben. Dankbar bin ich auch den Menschen die den Weg markiert haben. Das gibt mir Klarheit und Sicherheit. So komme ich mit entspannter Leichtigkeit ans Ziel. Dadurch bin ich auch weniger genervt, da ich nicht dauernd den Pilgerführer rauskramen muss, um nachzuschauen und zu rätseln wie es weitergehen könnte und an welcher Mülltonne ich wohin abbiegen muss. „Nun geht es wieder in Kurven bergan, bis wir in einer Serpentine bei Müllcontainern nach rechts auf eine kleine Straße abbiegen.“ So steht es in dem Reiseführer geschrieben und ich kann nur hoffen, dass sich seit dem Druck des Reiseführers der Standort der Müllcontainer nicht verändert hat.

Wegweiser

Der Franziskusweg verläuft über dem Bergkamm bis auf eine Höhe von 1.350m über NN. Der Weg ist gleichzeitig der europäische Fernwanderweg E1, welcher über den Feldberg nach Frankfurt hierher verläuft. Da fühle ich direkt heimatlich verbunden.

Um 14 Uhr bin ich in Badia Prataglia und treffe am Dorfplatz die Lehrerin, die ich gestern kennenlernte. Wir reden miteinander. Sie hat ihre Etappe für heute beendet und ihr Zimmer bezogen. Anschließend esse ich den Rest des Pecorino, dem italienischen Käse aus Schafsmilch, den ich in meinem Gepäck noch finde und mache auf einer Bank kurz Mittagsschlaf. Ich fühle mich noch fit und mache mich weiter auf meinem guten Weg.

Die nächste Etappe nach Rimbocchi sollte doch ein Klacks seins. Gerade noch mal 400 Höhenmeter auf den kommenden 10km. Aber die hatten es in sich. Nachdem es erstmal 50 Höhenmeter abwärts ging, schlängelte sich der Weg den Berg hinauf. Ich machte einige Pausen, um den Anstieg zu meistern. Der Scheitelpunkt lag bei 1.100m ü.N.N. und dann ging es direkt für die nächsten drei km ebenso steil bergab. Ich bin dankbar für meine Stöcke, denn sie geben mir Halt und Schutz vorm Abrutschen auf dem gerölligen Untergrund. Ich genieße die traumhaften Ausblicke: Eine bewaldete Hügellandschaft soweit das Auge reicht.

Hinter Frassineta steigt es nochmal kurz um 100 hm an, bevor der 4km lange und steile Abstieg nach Rimbocci folgt. Ein falscher Tritt und ich würde den Hang gnadenlos und unaufhaltsam hinunterrutschen. Meine Aufmerksamkeit liegt bei jeden Tritt und gleichzeitig schweift mein Blick in die nahe Umgebung, damit mir bloß keine Wegemarkierung entgeht.

Ich freue mich schon auf Rimbocchi, denn der Wanderführer verspricht dort eine Bar. Der Gedanke an ein kühles Erfrischungsgetränk motiviert mich weiterzulaufen. Unterwegs kommt mir ein alter Fiat Panda Trecking entgegen. Ich bin echt erstaunt, dass diese kleine, alte Karre mit maximal 45PS diese Strecke bewältigen kann. Jeder tiefergelegte 3er BMW hätte garantiert nach 100m sein Fahrwerk ruiniert. Der Mann stoppt kurz und fragt, ob ich heute noch bis La Verna will. Ich verneine und antworte, dass mein Tagesziel in Rimbocchi liegen wird. Er wünscht mir noch einen guten Weg und fuhr weiter.

Das letzte Wegstück übertrifft noch einmal alles steile und abschüssige was ich den ganzen Tag gelaufen bin. Dafür war ich kurz darauf in Rimbocchi, Ich freute mich, den die Tür zur Bar stand offen. Ich ging hinein und sah – Nichts! Außer ein paar Getränkeautomaten, ein paar Tischen und Bänken. Ich sah eine eisgekühlte Coca-Cola und wollte direkt ein Getränk ziehen. Doch ich hatte gerade noch drei 10 ct Münzen. Damit ist mein Traum gerade geplatzt und ich werde weiter nur Wasser konsumieren. Dennoch bin ich dankbar für diesen Tag und dies Lektion. Ab jetzt werde ich immer ein paar Münzen im Portemonnaie behalten.

Heute lief ich 20km über 950 Höhenmeter vom Kloster Camaldoli nach Rimbocchi.

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Chillen.

Haengematte

Heute habe ich mir vorgenommen nur den Weg bis zum Manastero di Camaldoli zu pilgern. Die Anstrengungen des gestrigen Tages stecken mir noch zu sehr in den Knochen. Jeder Anstrengung sollte auch die Entspannung und die Erholung folgen. Nur so können meine Akkus wieder mit neuer Energie geladen werden und sich mein Körper an die neue Belastung anpassen. Also ist es mir heute nach Chillen. Da stelle ich mir die Frage: „Wie oft passiert es mir im Alltag, dass ich denke da geht noch was und mich überlaste ohne dabei bewusst nach innen zu spüren und festzustellen, dass eigentlich keine Kapazität mehr vorhanden ist?“

Ich verlasse meine Bleibe und gönne mir auf dem Marktplatz von Stia noch einen Kaffee. Dann geht es los stetig bergan verlasse ich Stia. Auf dem Weg treffe ich auf drei Holländerinnen. Sie werden nur die Strecke nach La Verna pilgern. Eine von Ihnen kannte die Strecke ab La Verna bis Assisi bereits, weil sie den Weg vor sechs Jahren mit ihrem Mann pilgerte. An dessen Stelle sind heute ihre Freundinnen dabei. Im nächsten Örtchen verabschieden wir uns. Die drei Pilgerinnen besuchen eine Kirche und ich pilgere weiter.

Der Weg zweigt von der Straße ab und entwickelt sich zu einem Trampelpfad. Er führt durch ein Bachbett, wird noch schmäler, so dass nur noch ein Fuß vor den anderen passt. Ich gehe sehr achtsam, denn ein falscher Schritt und ich könnte leicht am Abhang abstürzen. In diesem Fall könnte mein Fall nur von dornigen Büschen gebremst werden. Keine angenehme Vorstellung.

Kurz darauf treffe ich auf ein holländisches Pärchen, das gerade an der Ruine einer Kapelle rastet. Sie wollen auch nach Rom und werden wohl einige Etappen mit Bus und Bahn zurücklegen. Ich freue mich, dass doch noch andere Pilger auf dem Weg sind. Ich laufe weiter durch den von Büschen gesäumten Weg und komme nach Valagnesi. Eine Bank lädt mich zur Rast ein. Ich esse mein Stück Weißbrot, dass ich in Pontassieve kaufte und lese in meinem Pilgerführer. Dabei entdecke ich, dass ich vor 2 km hätte abzweigen müssen, um zur Sacro Eremo di Camaldoli zu gelangen. Ich wundere mich über meine Gelassenheit und denke nur kurz darüber nach umzukehren. Doch ich verwerfe den Gedanken noch im selben Augenblick. Ich bin begeistert, dass ich gar keine Sorge habe etwas zu verpassen. Heute ist halt Chillen angesagt.

Aus Richtung Camaldoli kommt mir eine Frau mit Rucksack entgegen. Eine Pilgerin die sich nach geheilter Krebserkrankung nun ihren Wunsch erfüllt den Franziskusweg von Rom nach Florenz zu pilgern. Sie erzählte mir ein wenig von ihrem Weg und von Wölfen die ganze Schafherden dezimieren. Deshalb seien hier auch so viele Wachhunde bei den Schafherden. Wir verbrachten die Mittagspause zusammen und unsere Wege trennen sich in entgegengesetzter Richtung.

Ich laufe weiter in Richtung Camaldoli und komme kurz darauf zu einer Schafsherde, die von vier Hunden gehütet wird. Drei der Hunde bellen und bleiben bei der Herde. Einer jedoch scheint sich für mich zu interessieren. Er verfolgt mich und schleckt über meine Wade. Ich bin froh, dass es ihm wohl nicht so sehr zu munden schien und er davon absieht kraftvoll hineinzubeißen. Ich folge dem weitern Verlauf der Schotterstraße. Als der markierte Weg von der Straße abzweigt erreiche ich nur 45 Minuten später einen hübsch angelegten Rastplatz. Eigentlich der ideale Platz um die Nacht zu verbringen, aber ich will noch weiter nach Camaldoli und es ist erst kurz vor 14 Uhr. Dennoch nutzte ich die ruhige Umgebung in diesem wundervollen, friedvollen Wald mit dem frischen Grün der Bäume und dem melodischen Zwitschern der Vögel für ein Nickerchen. Mittagsschlaf kam in den letzten Tagen eh ein wenig zu kurz.

Um 15 Uhr mache ich mich weiter und komme kurz darauf am Rifugio Asqua vorbei. Dort war eine lange Tafel mit Kuchen eingedeckt, an dem sich bereits einige Pilger und andere Gäste erfreuen. Ich grüße und laufe weiter, obwohl ich sonst einem leckeren Kuchen nur schwer widerstehen kann. Aber ich will ja nach Camaldoli, wo ich gegen halb fünf eintreffe. Camaldoli besteht eigentlich nur aus dem Kloster mit einer beeindruckenden alten Apotheke, zwei Restaurants und einem kleinen Lädchen, die aber alle irgendwie zusammengehören. Ich hole mir im Kloster meinen Pilgerstempel und gehe in eins der Restaurants, um mich mit Tagliatelle und Steinpilzen für die morgige Etappe zu stärken.

Nur kurze Zeit später gesellt sich eine deutsche Pilgerin zu mir und wir kommen ins Gespräch. Sie ist Lehrerin und gönnt sich rein präventiv diese Auszeit, um Stress und Burnout entgegenzuwirken. Die Corona-Zeit mit ständig wechselnden Verordnungen und Vorgaben durch die Ministerien hatten ihr sehr zugesetzt. Ihre Familie ermutigte sie sogar sich ihren Traum des Pilgerns auf dem Franziskusweg nach Assisi zu erfüllen.

Die drei Holländerinnen kommen auch in das Restaurant und schwärmen von der Sacro Eremo di Camaldoli. Es sei einfach ein Muss diesen Ort zu besichtigen. Gut, dass ich noch eine Nacht habe, um mich zu entscheiden wie ich die Route nach Badia Prataglia bestreite. Nach kurzer Konversation verabschiede mich, um mein Nachtlager auf dem nahegelegenen Campingplatz herzurichten. Es wird bestimmt chillig in meiner Hängematte.

Die Etappe von Stia nach Camaldoli betrug gut 18km über 740 Höhenmeter.

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Beten.

Landschaft

Bereits in Florenz habe ich in einer Kirche gebetet und bitte um Schutz vor Schmerz und Krankheit und einen sicheren Verlauf auf dem Pilgerweg. Meine Liebsten schließe ich beim Beten ins Gebet ein und wünsche, dass sie während meiner Abwesenheit wohl behütet sind.

In Pontassieve und auch im benachbarten San Francesco fand ich keinen geeignete Übernachtungsplatz und so lief ich ein Stück der kommenden Etappe. Hinter dem Weiler Nippozano fand ich auf dem Parkplatz der Kapelle einen geeigneten Platz. Obwohl die Wetterapp nächtliche Temperaturen von 12 Grad Celsius vorhersagte, was erstmal gemütlich klang, war es am Boden doch recht kühl in meinem Schlafsack. Da hätte ich mir meinen flauschigen Frotteeschlafanzug herbeigewünscht. Zugunsten des Gewichts blieb er daheim. Der Mond schien helle, irgendwo schienen sich Leute zu unterhalten, Vögel zwitscherten mir ein Schlaflied, in der Ferne starten Flugzeuge. Ich bin fasziniert wie viele Geräusche ich in der sonst recht stillen Nacht wahrnehmen kann.

Am morgen war alles ein wenig klamm. Ich warte bis die Sonnenstrahlen die Sachen trocknen und marschiere los. So richtig frisch fühle ich mich nicht und blicke ehrfürchtig in den Reiseführer. Vor mir liegen 800-900 Höhenmeter. Ich futtere noch fix eine Banane und ziehe los. Nach wenigen Kilometern komme ich an einem Rastplatz vorbei. Wäre ich am gestrigen Abend noch ein bisschen weitergelaufen hätte ich hier eine schickere und solidere Übernachtungsmöglichkeit gehabt.

In weniger als einer Stunde war ich in Diaccetto, wo ich eine Neubausiedlung passiere. Die Reihenhäuser werden hier für €112.000 angeboten. Aufgrund des Leerstandes schaut es jedoch eher wie ein gescheitertes Bauprojekt aus. Der Weg verläuft bis Ferrano einigermaßen eben und steigt dann kontinuierlich an. Nach drei Stunden gönne ich mir eine Pause und entspanne rustikal auf ein paar frisch gefällten Baumstämmen. Während ich auf den Baumstämmen sitze sehe ich wie meine Wade ein eigentümliches Eigenleben führt. Unterschiedliche Muskelregionen zucken, als würden sie eine Melodie spielen. Vielleicht „Dieser Weg wird kein leichter sein!“

Die Steigungsstrecken zehren an meinen Kräften. All meine „Ich kann nicht mehr“ Rufe verhallen im menschenleeren Wald. Ich bete, um zusätzliche Kraft. Ich versuche die verbleibende Steigung zu relativieren, zerlege die restlichen 200hm in vier mal meinen Hausberg hoch und meine innere Stimme spornt mich mit „Du schaffst das!“ Rufen an. Irgendjemand hat meine Gebete erhört und mir die Kraft gegeben. Um 12:00 erreiche ich Consuma und mache erstmal Rast in einer Bar.

Von Consuma nach Stia.

Die nächste Etappe führt nach Stia und Stia liegt wieder am Arno. Also unten im Tal. Ich dachte mir, dass ich diese 15km noch mühelos bewältigen kann, denn es ja eigentlich nur noch bergab. Also mache ich mich auf den anfangs gut ausgeschilderten Weg. Zuerst nach Gualdo. Dort gibt es einen Brunnen, an dem ich meine Wasservorräte auffülle. Danach führt der Weg über ein paar wildromantische Bachläufe. Hier wäre der ideale Platz für ein erfrischendes Bad. Aus Zeitgründen verzichte ich, denn ich mag gerne noch in Stia ein Zimmer bekommen.

So einfach wie vermutet verlief der Weg nicht. Ich verzweifele an der Wegeführung. An ein und demselben Hang verlief der Weg erst steil bergauf und auf Geröll steil bergab und das wiederholt sich mehrfach. Mit jedem Anstieg verliere ich an Kraft und muss immer häufiger Gehpausen einlegen. Ich habe zu nichts mehr Lust, muss immer intensiver auf mich einreden, dass wenn ich mich nicht beeile wohl jede Pizzeria geschlossen sein wird und es auch mit dem Zimmer schlecht stünde. Dennoch brauche ich im Wald eine ausgiebige Pause und hocke mich auf den trockenen Waldboden und bete, dass ich noch die Kraft finde die letzten Kilometer zu bewältigen.

Beten kann ich auf unterschiedliche Art und Weise. Entweder ich bediene mich eines Standards wie zum Beispiel dem „Vater Unser“. Dann brauche ich mir erstmal keine großen Gedanken zu machen, denn es enthält auch einige schlüssige weltliche Passagen wie z.B. „..unser tägliches Brot gib‘ uns heute und vergib‘ uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern…“ Das sind ja durchaus sinnvolle Bitten, dass ich täglich etwas zu Essen habe, sich selbst reflektiert was an heutigen Tag nicht so toll gelaufen ist und den Menschen zu verzeihen, die uns selbst gegenüber ein wenig über die Stränge geschlagen haben.

Wenn ich frei bete, dann bitte ich um etwas. Dann reflektiere ich darüber was ich brauche, was mir wichtig ist, was ich von mir selbst, von einem oder mehreren anderen erwarte. Die Bewusstwerdung dessen hilft mir im Alltäglichen ungemein. Nun wünsche ich mir konkret Kraft und Stärke für die letzten Kilometer. Dadurch mobilisiere ich verborgene Reserven, denn ich trete mit mir selbst in einen Dialog. Ich bete „Herr, gib‘ mir Kraft und Stärke“ und umgehen erhalte ich eine Antwort „Du hast die Kraft und ich habe das Vertrauen, dass Du es schaffen wirst!“ Daraufhin bedanke ich mich und laufe Kraft des Gedankens, dass ich es schaffen werde weiter.

Die letzten Kilometer nach Stia zogen sich wie Kaugummi. Ich pilgerte an einem Wohnmobilstellplatz vorbei. Für den Fall der Fälle wäre dies schonmal ein geeigneter Lagerplatz für die Nacht. Das entspanne mich und ich suche erstmal eine Pizzeria auf. Dort verzehre ich einen Salat mit Thunfisch und ein paar Ravioli, um die Energie zu bekommen, die ich für die kommende Etappe benötige. In der Pizzeria gesellt sich Bettina vom Bodensee zu mir. Wir tauschen uns über unsere Pilgermotive und unsere bisherige Erfahrung aus.

Anschließend kümmere ich mich um ein Zimmer und freue mich, dass ich bei La Guardia noch eines für 40€ ergattern kann. Mein Bedürfnis nach Körperhygiene ist dermaßen groß, dass ich mich total über die heiße Dusche freue. Daheim kann ich mich jederzeit Duschen. Es ist nichts besonderes. Hier auf dem Weg schon. Ich denke man sollte das Alltägliche nicht unbedingt als Selbstverständlich hinnehmen, sondern auch dem Alltäglichen immer mit Dankbarkeit begegnen.

Die Länge der heutigen Etappe von Pontassieve über Consuma nach Stia beträgt knapp 32km mit 1.300 Höhenmeter.

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Anfang.

Florenz Bruecke

Aller Anfang ist schwer und ich erkenne schon nach kurzer Zeit, dass ich jedem Anfang eines guten Weges mit Demut begegnen sollte. Aber alles erstmal der Reihe nach. Ich reise mit meinem Wohnmobil nach Florenz, um dort meine Pilgerreise anzutreten und anschließend noch weitere Zeit in Italien zu verbringen. Das Wohnmobil lasse ich auf dem Parkplatz Parcheggio Villa Costanza in Florenz. Dieser Parkplatz erscheint mir als Abstellplatz für mindestens einen Monat als sicher. Der Platz verfügt über eine Ein- und Ausgangsschranke mit Kennzeichenerkennung und Videoüberwachung. Erreichen kann man den Platz nur von der Autobahn und er verspricht günstige Abotarife, so dass ich das Wohnmobil dort für €40,- einen ganzen Monat lassen kann. Zu guter Letzt ist er auch direkt durch eine Straßenbahn mit der Innenstadt verbunden.

Ich frühstücke und verspüre eine gewisse Trägheit. Klar, ein ruhender Körper vermag in Ruhe bleiben, wenn keine äußeren Kräfte auf ihn einwirken. Das besagt schon das erste Newtonsche Gesetzt. Und wenn er erstmal in Bewegung ist, dann bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit weiter, wenn keine äußeren Kräfte auf ihn einwirken. Das spüre ich am eigenen Körper ganz deutlich. Wenn ich beispielsweise liege, dann liege ich und bliebe am liebsten liegen, außer äußere Kräfte setzen mich in Bewegung. Wie meinen Harndrang, den ich auch den äußeren Kräften zuordne. Als ich noch klein war, hat es mich nur wenig gestört noch im Liegen in meine Windel zu pieseln. Bis mir meine Mutter beibrachte, dass ich auch auf’s Töpfchen gehen kann, was ich seitdem auch tue. Das macht voll Sinn, denn damit spare ich Zeit, da ich nicht ständig die nassgepieselte Wäsche wechseln muss. Aber wer weiß, vielleicht kommt die Zeit irgendwann zurück. Heute lasse ich meinen Körper in Ruhe, bis die äußere Kraft, der Gedanken „Ich will jetzt los, die Welt entdecken!“ in meinem Kopf auftaucht.

Das Pilgern beginnt.

Also raffe ich mich um 10 Uhr auf und fahre mit der Straßenbahn zum Hauptbahnhof, wo ich meinen kleinen Florenz Rundgang beginne. Es sind bereits einige Touristengruppen unterwegs und je näher ich in die Nähe des Doms gelange, häufen sie sich. Vor allem Schulklassen und Rentnergruppen. Ich bin genervt von den Fähnchen der Touristenführungen und dem wilden umher Gerenne und Gequatsche. Nur die modisch gekleideten Florentinerinnen die mir stolz mit einer Wolke feinsten Parfüms umgeben, begegnen, lenken mich von dem hektischen Treiben ab. Ich flüchte mich in die Santa Maria della Croce. Laut Reiseführer ist es die bedeutende Kirche für Franziskuspilger. Ich besuche die Kirche und denke die 8€ Eintritt könnte man den Pilgern ruhig erlassen, zumal die Motive mit dem heiligen Franz nicht wirklich sichtbar sind, da sie gerade restauriert werden.

Nach der Besichtigung in der Kirche ist es 12 Uhr. Ich fülle meine Wasserblase an dem nächstbesten Brunnen und pilgere los. Erstmal flach am Ufer des Arno entlang. Dann geht es leicht bergauf und in Bagno komme ich gleich zweimal vom guten Weg ab. Na, das geht ja schon mal gut los. Ich blättere in meinem Wanderführer und finde eher zufällig als durch die Beschreibung wieder den Anschluss zum markierten Weg.

Es ist unfassbar heiß und nach drei Stunden bergauf brauche ich eine Pause. Auf dem Weg blicke ich zurück und sehe wie die Silhouette von Florenz immer weiter in die Ferne rückt. Die Intervalle meiner Pausen werden kürzer. Ich fühle mich kraftlos und jeder Schritt bedeutet enorme Anstrengung. Zudem ist die Wegeführung eher uneindeutig oder sogar irreführend. Das kann ich jetzt gerade gar nicht gebrauchen. Ich entscheide mich für den Weg der nirgendwo hinweist und komme wieder auf einen guten Weg und letztlich zum Convento Incontro. Das sollte mit 568m ü N.N. der heutige Höhepunkt sein. Ich lege mich erstmal flach auf eine Steintreppe, entspanne und versuche wieder zu Kräften zu kommen.

Ich pilgere weiter und es geht erfreulicherweise nur bergab. Meine Stöcke verhindern auf dem gerölligen Weg mehrere potentielle Stürze. In Rosano decke ich mich in einer Bodega mit Brot, Käse, Bier und einer Cola ein, denn nachdem es den ganzen Tag nur Wasser gab, habe ich jetzt Lust auf einen anderen Geschmack. Der Weg führt durch eine wenig attraktive Wohnsiedlung und führt zum Schluss an der Sieve, einem Nebenfluss des Arno in das sehr übersichtliche Centro von Pontassieve. Es ist 20 Uhr und ich bin entkräftet. Erstmal pausiere ich auf der Piazza vor dem Rathaus und schaue wie es nach den heutigen 28km über 900 Höhenmetern weitergeht.