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Treiben.

Rieti Mittelpunkt

Direkt neben meinem Schlafraum liegt die Küche und dort ist bereits in frühen Morgenstunden ein geschäftiges Treiben. Die Kroaten frühstücken, bereiten ihre Vesper für den Tag vor und gehen noch vor 7 Uhr ihrer Wege. An Schlafen kann ich nicht mehr denken und stehe auf.

Im Kühlschrank finde ich Joghurt, den andere Pilger dort zurückgelassen hatten. Eine Kroatin, die heute den Fahrdienst übernimmt, verbleibt noch in der Herberge. Sie hat es nicht eilig. Ich danke ihr nochmals für die Einladung zum Essen, verabschiede mich und ziehe meines Weges. In mir breitet sich ein unbeschreibliches Glücksgefühl aus und ich spüre an der Spannung meiner Wangenmuskulatur ein breites Grinsen als ich an die komplette Situation von gestern Abend denke: die Fügung, die Hilfsbereitschaft, die Gastfreundschaft, die warmherzige Verbindung zu Menschen, die mir eigentlich fremd sind. Das überwältigt mich gerade jetzt im Moment.

Auf recht leichten Wegen geht es überwiegend bergab in Richtung Rieti. Ich passiere Santuario La Foresta, einem Ort wo Franz vor seiner „Augenoperation“ verweilte und durch seine Fürsprache die Qualität des angebauten Weines deutlich verbesserte. Nach 5km auf reinen Asphaltstraßen erreiche ich Rieti. Ich laufe noch ca. 30 Minuten bis ich die Stadtmauer erreiche. Rieti hat knapp 50.000 Einwohner und ich spüre, dass mich die Größe dieser Stadt in meinem in mich gekehrten Prozess unterbricht.

Rieti Mittelpunkt Italiens

„Heute stehe ich einmal im Mittelpunkt von ganz Italien“ denke ich bei mir, als ich mich am Piazza San Rufo auf die Mittelpunkt-Marke Italiens stelle. Danach irre ich durch das Straßengeflecht. Laufe an San Francesco vorbei und gelange schließlich zum Domplatz. Dort trinke ich in der Bar einen Cappuccino und genieße ein Teilchen mit Schokocreme. Obwohl es das erste Haus am Platz zu sein scheint, zahle ich für beides gerade mal 3€. Das ist echt seeinen Preis wert. Danach besichtige ich noch den Dom und verlasse Rieti, da mir weniger nach Besichtigung und mehr nach Ruhe und Einkehr ist.

Meine beiden Reiseführer sind unterschiedlicher Meinung über meinen weiteren Reiseverlauf. Der eine schlägt den direkten Weg nach Rom vor, empfiehlt jedoch Greccio unbedingt zu besichtigen und mit dem Zug nach Rieti zurückzufahren. Der andere schlägt eine Route über Greccio vor, die mich jedoch fast dorthin zurückführt wo ich vor Tagen fast war. Nämlich in die Nähe von Piediluco. Ich entscheide keinem der beiden Führer zu folgen, sondern rein auf die blau-gelbe Wegemarkierung zu vertrauen.

Über die Via Roma, die es scheinbar in jedem italienischen Dorf zu geben scheint, verlasse ich Rieti und überquere den Fluss Velino, der mir sei Marmore bekannt ist. Am Flussufer laufe ich weiter und weiter, bis irgendwann ein Weg in die Stille des Waldes abzweigt. Mal mehr mal weniger steil steigt der Weg an und ich erreiche das Kloster Fontecolombo, das scheinbar als franziskanischer Sinai bezeichnet wird, denn hier verfasste Franz im Jahre 1223 die Ordensregeln in der Stille einer Höhle. Als ich vor dieser Höhle stehe, spüre ich wie mein Herz deutlich intensiver schlägt. Innerlich bewegt, bewege ich mich wieder zurück zum Kloster, wo einer Schulklasse gerade ein paar Verhaltensregeln nahegelegt werden.

Grafitti in Sant’Elia

Ich pilgere weiter nach über unmissverständlich beschildere Wege nach Sant‘Elia, wo sich meine Hoffnung auf eine Bar oder einen kleinen Laden zügig auflöst. Es gibt dort einfach nichts. Außer einer Geschichte vom heiligen Franz, die mir ein älterer Italiener erzählte. Damals ging nämlich die Rindergrippe um und die infizierten Kühe starben nach kürzester Zeit.

Da hatte einer aus dem Dorf die Idee Franz einzuschalten. Sie gingen zu ihm und Franz nahm das Wasser aus der Quelle von Fontecolombo, füllte es in einen Trog und wusch sich die Hände und die Füße mit eben diesem Wasser. Dann wies er an man solle mit diesem Wasser die Kühe beträufeln. Siehe da, die kranken Rinder wurden wieder gesund. Wenn ich aktuell meine Wanderschuhe und Socken so betrachte und hätte gleiches getan, wäre das eher aktive Sterbehilfe gewesen.

Ich mache Mittagspause, esse meine Birne, ein wenig Käse, Salami und ein wenig Brot. Dann ruhe ich mich kurz aus und pilgere weiter. Der Weg verläuft auf auf einer Höhenlinie und bietet einen wundervollen Blick über die Ebene, wo ich die Orte der vergangen Tage entdecken kann. Ich bin entspannt und immer noch froher Laune, obwohl mir die Hitze ein wenig zu schaffen macht. Unten im Tal angelangt führt der markierte Weg eben auf der Provinzstraße entlang. An einer Kreuzung wird er auf Nebenstraßen geführt die zum Teil steil ansteigen.

Nach über 20 km Wegstrecke kostet es mich mit jedem Meter den ich an Höhe überwinden muss mehr Kraft. Der Schweiß tropft mir von der Stirn auf meine Brillengläser, so dass ich kaum noch etwas sehen kann. Es scheinen sich auch immer mehr Mücken für meine abgesonderten Wasservorräte zu interessieren. Ich erreiche endlich Contigliano und stehe vor der Pfarrkirche San Michele Arcangelo. Zu einer Besichtigung kann ich mich nicht aufraffen, da ich dazu noch weiter Stufen überwinden müsste. Auf jeden Fall benötige ich ein wenig Erfrischung und hoffe ich werde im unten im Tal liegenden Zentrum in einer Bar fündig. Ich habe Glück und lasse ich mich erstmal in einer Bar nieder.

Jetzt mache ich mich weiter auf nach Greccio, um meine Wegstrecke morgen zu verkürzen. Rom müsste ich nun in höchstens sechs weiteren Etappen erreichen. Zunächst geht es gemütlich ohne nennenswerte Steigungen in Richtung Greccio. Die Strecke ist wieder hervorragend ausgezeichnet. Ich freue mich, dass ich die Pause gemacht habe, denn die Temperaturen scheinen wieder unter 30 Grad gefallen zu sein. Außerdem ist der Weg recht schattig und es weht ein frischer Wind. Nach 3 Kilometer geht es nochmal ans Eingemachte. Der Weg steigt steil an, mündet auf einmal in einen Trampelpfad und ich werde von irgendwelchen Insekten attackiert. So komme ich wenigstens nicht auf die Idee stehen zu bleiben und zu pausieren, denn dann wäre es garantiert geschehen und ich könnte mich vor Einstichen nicht mehr retten.

Es geht eine gefühlte Ewigkeit bergauf. Gelegentlich gibt es kleine lichte Stellen im dichten Bewuchs, welche den Blick auf die Ebene freigeben. Aber da habe ich gerade kein Blick dafür. Ich kämpfe um jeden Schritt, dass ich endlich oben ankomme. Der Weg wird zum Trampelpfad und dornige und andere Gewächse erschweren mein Fortkommen. Endlich erreiche ich eine Asphaltstraße und folge ihr bis zum Ortseingangsschild von Greccio, der Partnerstadt von Bethlehem. Hier hat kein geringerer als der heilige Franz im Jahre 1223 die erste Krippendarstellung initiiert.

Ich dachte eigentlich, dass Sanktuario di San Francesco liegt direkt in Greccio. Doch als ich den Ort betrete wird mir klar, dass das Sanktuario noch weitere 2.5 Kilometer hinter Greccio liegt. Meine Idee war ja im Kloster selbst zu übernachten. Also laufe ich durch Greccio durch ohne wirklich in Ruhe die Schönheit des Ortes zu genießen. Am Ortsausgang fand ich einen Wegweiser zum Saktuario di Greccio. Mein Instinkt sagt mir laufe die Straße entlang, aber mein Gehirn mag der Verlockung eines Wegweisers folgen, der anzeigt, dass es auf diesem Weg „nur“ 45 MInuten bis zum Ziel seien. Also ließ ich mich verführen.

Der Weg führt über Schotter recht steil bergab und ich wundere mich, da ich das Zeil auf gleicher Höhe gesehen hatte. Es ging weiter bergab, auch mit meiner Konzentration. Und schon war es geschehen. Ich trete auf einen Stein und rutschte mit dem rechten Fuß wie in Zeitlupe zu Boden. Jetzt war mir auch kein Fluch mehr zu schade für diesen Weg. Ich folge dem weiteren Verlauf und es kommen in unregelmäßigen Abständen Wegweiser, welche die Entfernung immer 5 Minutenweise herunterzählen. Fast am tiefsten Punkt erreiche ich eine Kreuzung mehrerer Wege. Und dort sah ich nur noch eins: eine Baustelle und keinen weiteren Wegweiser. Ich war dermaßen sauer! Sauer auf die Leute die nicht in der Lage sind hier eine ordentliche Beschilderung vorzunehmen und sauer auf mich, weil ich mich habe verlocken lassen.

Gleichzeitig hat diese Wut, die jetzt gerade in mir steckt eine Wahnsinns Energie freigesetzt, so dass ich den nächstgelegenen Schotterweg unfassbar schnell hochgelaufen kann. Da kommt mir die Energie die in der Wut steckt direkt einmal zu gute. Als ich wieder auf der Straße angekommen bin, erreiche ich das Kloster zu spät. Zumindest so spät, dass ich den Schlüssel für die Pilgerbetten nicht mehr abholen kann. So werde ich mir es die Nacht mal wieder im Freien gemütlich machen. Den Platz dafür habe ich schon gefunden. Ach so, welche Gedanken ich mir über meine inneren Antrieb gemacht habe, das werde ich noch nachtragen. Aber heute nicht mehr.

Pace e Bene.

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Spiritualität.

Franziskusbuche

Ich habe prächtig geschlafen und wache bereits vor meinem Wecker auf. Die Saarländer, die ein 8-Bett Zimmer für sich alleine hatten, sind auch schon aktiv. Wir sind zeitgleich fertig und brechen gemeinsam auf. Alle Bars sind noch geschlossen und die beiden haben beschlossen, dass sie ihre Tour hier beenden und die verbleibende Strecke nach Rom mit dem Bus fahren werden. Wehmütig trennen wir uns am Ortsausgang. Immerhin begleiteten wir uns seit Citta di Castella und begegneten uns immer wieder einmal. Auf einem Schild lese ich: Roma 150 km. Mal gucken wie lange ich dafür brauche.

Jetzt war ich auf alle Fälle wieder alleine unterwegs ohne Perspektive einen der bekannten, anderen Pilger nochmals zu treffen. Nach einem knackigen Anstieg erreiche ich Labro, ein pittoreskes, mittelalterliches Dorf mit einer geöffneten Bar. Dort genieße ich einen Cappuccino und ein Eis mit Schokoüberzug und Mandelsplittern. Mein erstes Eis nach Florenz. Ob das etwas zu bedeuten hat? Vielleicht ist es mein Versuch mich mit diesem Eis über den Abschied von den Saarländern zu trösten.

Der weitere Weg führte über wechselweisen Belag immer weiter in die Höhe. Bis Poggio Bustone werde ich 920 Höhenmeter überwinden. Inzwischen empfinde ich diese Höhenunterschiede gar nicht mehr so erschreckend und erschöpfend wie zu Beginn. Dabei ist mein Rucksack nicht leichter als zu Beginn. Ich freue mich, dass ich mich inzwischen so gut an den Weg angepasst habe oder der Weg an mich. Ich komme an meine Grenzen und erweitere diese kontinuierlich in alle Richtungen. Weg und ich haben uns aufeinander eingespielt. Ich kann dem Weg und den Markierungen bis auf wenige Ausnahmen blind vertrauen und dafür bin ich einfach dankbar.

Pilgern ist eine spirituelle Erfahrung. Ich nehme wahr wie ich Teil der Natur, der Schöpfung bin und damit quasi verschmelze. Ich bin Teil eines großen Ganzen und auch das große Ganze ist auch ohne mich nur unvollständig. Von daher stehen sich Spiritualität und Sexualität kaum etwas nach. Wenn Sexualität nicht so verstanden wird, dass einer dafür verantwortlich ist die Bedürfnisse des anderen zu befriedigen, dann geht es bei der Sexualität eben auch um die sinnliche Verbindung zu einem größeren Ganzen, die mit einem Körper alleine unmöglich wäre. Alleine bin ich eben nur alleine. Erst wenn ich mich mit meiner Mitwelt verbinde, kann ich Teil eines größeren Ganzen sein, kann sich meine Aura, die Grenzen der „Strahlkraft“ meines Körpers, in die Aura eines anderen Körpers eintauchen, wodurch sich die eigenen Grenzen auflösen und für Momente zu einem größeren Ganzen verbinden.

In meinen Gedanken versunken erreiche ich gegen Mittag die Faggio di San Francesco. Eine besondere Art von Buche, von denen es weltweit wohl nur zwei Exemplare gibt. Unter dieser speziellen Buche suchte Franz Schutz vor einem Gewitter, woraufhin der Baum seine Zweige wie ein Regenschirm bog. Vor der nahegelegenen Chiesa di San Francesco machte ich eine kurze Rast. Es ist mit 1085m der höchste Punkt meiner Tagestour. Meine Reiseführer stimmen beide für einen Pfad, der hinter dem Kirchlein über eine Wiese führt. Allerdings nur für trittsichere Pilger mit Stöcken und knöchelhohen Schuhen, als absolute Voraussetzung. Alternativ könnte ich auch über den Hauptweg weiter pilgern.

Ich liebe die Abwechslung. Abseits von ausgetreten, leichten Wegen zu wandeln verlockt mich immer wieder aufs Neue. Der Pfad führt steil durch ein Wäldchen und ich frage mich, wo die Herausforderung liegen könnte. Das wurde mir wenige hundert Meter schon klarer. Ein schlanker Pfad führt über steiniges Geröll den Abhang hinunter. Jeden Schritt musste ich sorgfältig erkunden und mit meinen Stöcken absichern bevor ich ihn schreite. In jedem Moment erkunden, ob ich noch ausreichend Halt habe. Bei nur einem Fehltritt oder einem kurzen Moment des Verlustes meiner Aufmerksamkeit würde ich unaufhaltsam stürzen. Und ich bin sicher, dass die Menge der Verbände und Wundsalben in meinen Gepäck nicht ausreichen würden, um meine Wunden zu versorgen.

Die Zeichen die ich trotz aller Achtsamkeit im Moment wahrnehme, signalisieren mir, dass ich auf den richtigen Weg bin. Der steile Schotterpfad geht fließend über in ein sanftes Wäldchen mit einem kleinen plätschernden Bachlauf. Ich folge dem Lauf des Baches mit seinen kleinen Wasserfällen. Es wird entspannter und leichter. Wie durch ein Wunder versiegt der Bach nachdem ich ihn ein zweites Mal überquere. Danach erreiche ich wieder eine breite bequeme Forststraße, der ich bis Poggio Bustone folge.

Eigentlich ist es noch früh am Tag und ich bin noch nicht in Stimmung die Tagesetappe hier in Poggio Bustone zu beenden. Um meinen weiteren Verlauf zu planen, mache ich in der Bar Francescano erstmal eine Pause. Ich trinke ein Bier und es läuft entspannend „Shine on you crazy diamond“ von Pink Floyd. Leuchten wie ein verrückter Diamant, so wie in der Kindheit, unberührt von den Ideen anderer. Darum geht‘s doch auch auf dem Weg: Das Leuchten von Innen heraus wieder zu erwecken. Ich esse noch eine Aprikosentarte, um meinen Kalorienhaushalt wieder ein wenig auszugleichen. Auch dabei vereinigen sich zwei voneinander unabhängige Körper. So wird auch das Essen für mich zu einem spirituellen Erlebnis.

Hier in Poggio Bustone hielt sich Franz wohl mit den ersten Gefährten ein Jahr lang auf. In Assisi hatten die Leute wenig Verständnis dafür, dass Franz erst all seinen Besitz verschenkte und danach auf Kosten anderer lebte. So zweifelte Franz selbst. Aber von Gott selbst bestätigte dem Franz hier in Poggio Bustone, dass er auf dem rechten Weg sei. Hier begrüßte er die Leute mit „Buongirono, Buona Gente“ (Guten Tag, Gute Menschen). Ach wie schön, wenn sich diese Haltung auch heutzutage wieder stärker durchsetzen würde. Eben mit genau der Annahme das jeder Mensch dem ich begegne erstmal gut ist.

Cantalice

Die Uhr zeigt 16 Uhr 30 und ich mag noch ein Stück weiterpilgern. Nach einem kurzen Rundgang durch Poggio Bustone folge ich den sehr gut sichtbaren gelb-blauen Markierungen und komme zügig voran. Wenig später erreiche ich Cantalice ein mittelalterliches Dörfchen, dass wie in den Hang gegossen ist. In einem kleinen Alimentari kaufe ich Salami, ein Brötchen, eine Tomate, eine Birne und zwei Kiwis. Das alles schleppe ich über mehrere Treppenstufen vom Unterdorf ins Oberdorf und esse zu Abend während ich den Blick über die Ebene genieße.

Noch bin ich fit und so pilgere ich weiter in Richtung Rieti ohne eine Idee zu haben, wo ich übernachten könnte. Ich laufe bis Santa Felice dell‘ Acqua, wo ich hinter einem kleinen Kirchlein ein paar Pilger sehe. Ich spreche sie an. Sie gehören zu einer kroatischen Pilgergruppe, die ich seit Pieve di Saddi immer wieder mal sah.

Einer von ihnen gibt mir die Handynummer von Enrico, dem Patron der Herberge. Ich rufe Enrico an. Zuerst meint er, dass kein Bett mehr frei sei, dann meint er ich solle warten bis er zu seinem letzten Rundgang vorbei kommt. Geduldig warte ich vor der Kirche auf einer Parkbank. Dann kommt Enrico. Er begrüßt mich herzlich und sagt ich solle mit zur Herberge kommen. Da ließe sich noch was machen. Er führt mich durch die Küche in ein Nebenzimmer, wo ein einzelnes Bett mit Mickey Mouse Bettwäsche steht. Dort könne ich übernachten. Wunderbar! Ich hatte sogar eine Dusche und eine Toilette für mich ganz alleine. Ich bin begeistert. Eine Frau der kroatischen Gruppe sprach ein wenig deutsch und lädt mich zum Abendessen ein. Eigentlich war ich ja durch den Verzehr von Tomate, Brötchen und Kiwis schon „satt“, aber es riecht gerade so lecker, dass ich nicht ablehnen will.

Ich mache mich unter der Dusche schnell frisch und bin abermals begeistert, denn sogar Duschgel und Handtücher sind vorhanden. Welch ein Komfort und alles auf reiner Spendenbasis! Gerade höre ich, wie die „Köchin“ meinen Namen ruft. Es gibt Abendessen. Ich setze mich und jeder einzelne der Gruppe stellt sich vor. Es gibt einen leckeren Erbseneintopf und Salat.

Wir unterhalten uns auf Italienisch, Englisch und Deutsch. Die Jüngste in der Gruppe erzählt mir, dass sich die Gruppe über Facebook kennenlernte und zum gemeinsamen Pilgern verabredete. Sie fuhren mit einem Auto von Kroatien nach La Verna, um zu starten. Sie teilen alle Kosten gerecht auf. Im Wechsel fährt jeder einmal das Auto zur nächsten Unterkunft und kümmert sich um die Einkäufe. Ich gewinne den Eindruck, dass die Gruppe gut miteinander harmoniert. Jeder respektiert zu jeder Zeit die Bedürfnisse der anderen. Sobald sie in Rom angekommen sind, werden sie noch zwei Tage gemeinsam verbringen und nach Kroatien zurück fahren. Dann wird jeder wieder seiner Wege gehen.

Ich genieße den Abend mit der kroatischen Gruppe und gehe zufrieden und in Frieden schlafen. Die Gastfreundschaft, die Hilfsbereitschaft unter Menschen die sich kaum kennen, das ist es was die Pilgergemeinschaft ausmacht. Pace e Bene.

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Rückblick.

Piediluco

Ich wache um viertel vor sechs durch das sanfte Summen meines Weckers auf. Schließlich will ich alles gepackt haben, wenn der Chef den Laden aufschließt. Kurz nach 6 Uhr war es soweit. Er öffnet die Türen und startet sein Geschäft. Ich trinke noch einen Cappuccino und frühstücke einen großen Keks. Als ich bezahlen möchte sagte er mir es wäre nichts offen. Weder von gestern Abend noch von heute. Schließlich sei ich Pilger! Ich danke ihm herzlich und verabschiede mich. Sein Angebot mich irgendwo hinzufahren lehne ich dankend ab.

Es ist noch recht frisch am Morgen und der Himmel ist Wolkenverhangen. ich starte mit frischer Energie und komme zügig voran. Der Wetterbericht sagt erst ab nachmittags Regenschauer voraus. Doch kurz vor Arrone kommen zuerst kleine Tropfen und dann immer dickere. Ich setzte meinen Rucksack ab, fummele meine Regenjacke aus dem Rucksack, ziehe mir die Jacke an und dem Rucksack die Schutzhülle über. So hatte ich meine Regenjacke zumindest nicht umsonst eingepackt. Auch wenn der Regen bereits nach kurzer Zeit wieder aufhörte, war der Himmel noch immer wolkenverhangen. Mit gewisser Skepsis lief ich mit der Regenjacke immer weiter im Tal der Nera.

Ein großer deutscher Politiker sagte mal wörtlich „Entscheidend ist, was hinten rauskommt.“ Aus aktuellem Anlass mag ich ergänzen, dass es auch entscheidend ist, wann es hinten rauskommt. Entsorgung gehört ja zum täglichen Leben dazu. Und ich hätte mich sicherlich noch in der Pizzeria darum kümmern können. Tat ich jedoch nicht, da es zu diesem Zeitpunkt noch nicht so sehr pressierte als dass ich mich mit den hygienischen Bedingungen auf der Toilette hätte anfreunden können.

Gut und jetzt bin ich hier irgendwo auf dem Nera-Uferweg und spüre einen gewissen Druck, gepaart mit einer Unsicherheit wie lange mein Schließmuskel diesem inneren Druck noch standhalten kann. Erst versuche ich es meditativ und rede mir zu, dass es bei den Wasserfällen bestimmt eine Toilette geben wird, die meinen Ansprüchen angemessen ist. Doch der innere Druck wurde stärker und es wäre noch eine gute Stunde zu laufen. Also beginne ich nach einem geeigneten Ort Ausschau zu halten.

Direkt am Wegesrand kommt für mich nicht in Frage, denn auf der linken Seite des Weges befinden sich eingezäunte Grundstücke und auf der rechten Seite die Nera. Mit steigendem Druck wurde ich zusehends anspruchsloser. Links zweigt ein Weg in ein Wäldchen ab und ich erkenne es als bislang günstigste Gelegenheit. Ich stapfe durch das kniehohe Gras zu einem Bäumchen, stelle meinen Rucksack ins nasse Gras und kümmere mich um die Entsorgung. Da ich nicht gleichzeitig Oberschenkelmuskel anspannen und Schließmuskel entspannen kann, stütze ich mich mit der linken Hand hinter meinem Rücken an dem Bäumchen ab. Diese Technik bewährte sich bereits auf meiner letzten Pilgerreise, so dass ich sie in Notsituationen immer wieder gerne anwende.

Ganz abgesehen von meiner Hinterlassenschaft, was ist denn im Rückblick bisher meiner Pilgerreise rausgekommen? Es ist mal wieder Zeit zu reflektieren was ich mir vorgenommen hatte, was ich davon umgesetzt habe und was ich vielleicht auch anders machen würde. Ursprünglich hatte ich geplant, überwiegend in meiner Hängematte zu übernachten, ich wollte möglichst unabhängig und autonom sein. Bereits in den ersten Tagen ist mir klar geworden, dass ich auch meine Italienischkenntnisse im Kontakt zur Bevölkerung anwenden möchte. Das funktioniert natürlich nicht, wenn ich alleine mitten im Wald in meiner Hängematte hänge. Ich wollte eigentlich auch möglichst wenig Kontakt zu anderen Pilgern, sondern alleine in Ruhe mein Ding machen. Aber ich habe einige Pilger kennengelernt und schätze die Gemeinschaft und den Austausch.

Eigentlich wollte ich tagsüber nur Wasser trinken, was in den ersten Tagen auch geklappt hat. Dann begann mir jedoch das Feierabendbier am Zielort wieder zu schmecken und ich trinke zunehmend gerne ein Bier zur Belohnung und um einfach mal einen anderen Geschmack als Leitungswasser zu bekommen. Zumindest trinke ich nicht um zu vergessen, zu entspannen oder zu verdrängen. Dafür genieße ich es einfach zu sehr hier auf dem Pilgerweg zu sein, als dass ich meine Wahrnehmung dafür trüben müsste.

Gegen 9 Uhr komme ich an der Cascate delle Marmore. Es sind künstlich angelegte Wasserfälle mit 165 Meter Gefälle. Ich freue mich, dass ich als Pilger mit meinem Pilgerausweis den Eintritt gratis erhalte, anstelle 10€ zu bezahlen. Ich laufe durch die Anlage, bin jedoch leider für die spektakuläre Öffnung der Wassersperren zu früh und sehe leider nur ein recht dünnes Rinnsal. Zumindest im Vergleich zu den Niagarafällen.

Dennoch faszinieren mich Wasserfälle immer wieder. Einerseits die Energie des Wassers hinabstürzenden Wassers wahrzunehmen und die Form des Wasserstrahls zu betrachten, der nie gleich ist. Andererseits bringt es mich in Verbindung mit Jugendabenteuern, Karl-May-Filmen und African Queen mit Humphrey Bogart. Ich wuchte mich und meinen Rucksack ganz abenteuerlich über die 600 Stufen nach Marmore, wo ich das Gelände der Wasserfälle wieder verlasse und am beschaulichen Fluss Velino entlang pilgere. Der Velino weitet sich und gibt sich als Ablauf des Lago di Piediluco zu erkennen. Noch eine kleine Steigung ist zu bewältigen und schon bin ich in Piediluco am gleichnamigen Lago.

Ein herrlicher See, mit einigen Seitenarmen, so dass er mich an der Edersee erinnert. In einer Bar an der Uferpromenade genieße ich nach 22km Pilgerweg mein erstes Willkommensbier, bevor ich die Herberge, das „Casa del Pellegrino“ aufsuche. Ich bin der einzige Gast. Nach einem kurzen Nickerchen, was aufgrund der kurzen Nacht zwingend nötig war, kümmere ich mich um Körper- und Kleiderpflege. Anschließend mache ich mich zu einem Stadtrundgang auf und treffe die Saarländer, die inzwischen die 10 km aufgeholt hatten und auch die Nacht in der Herberge verbringen. Am Abend verabreden wir uns zum gemeinsamen Essen.

Le Liberta (Guilio Turcato) in Piediluco

Piediluco ist ein pittoreskes Örtchen, das malerisch am See gelegen ist. Allein der Anblick trägt zu meiner Entspannung bei. Das es nicht nur mir alleine so geht mag die Anzahl der Touristen erklären, die sich hier im Ort aufhalten. Der heilige Franz verweilte hier wohl öfter. Der Legende nach wurde dem heilgen Franz hier ein Fisch angeboten. Anstelle des Fisch zu essen, nahm er ihn und setzte ihn mit einem Gebet wieder ins Wasser zurück. Als Dank verweilte der Fisch so lange neben Franz bis dieser mit seinem Gebet fertig war und ihn aufforderte wegzuschwimmen. Vielleicht war Franz aufgrund seiner Tierliebe bereits einer der ersten Veganer.

Ach so, wie es mir geht? An meinen Füße ist wie zu Beginn nur über meinem kleinen, rechten Zeh eine kleine Blase. Die Muskeln schwächeln von Zeit zu Zeit, mein Rücken schmerzt immer noch leicht im Bereich der Brustwirbelsäule und mein linkes Knie zwickt ein wenig. Mental geht es mir hervorragend, ich fühle mich mit der Natur und meiner Mitwelt verbunden und ich bin dankbar, für alles was auf diesem Weg geschieht. Mein Heimweh hält sich ebenfalls im Rahmen, da ich auch ohne direkten Kontakt in sicherer, unsichtbarer Verbindung bin.

Ich entspanne und genieße den restlichen Sonntag in Frieden und Gesundheit. Pace e Bene.

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Qualen

Landschaft

Erstmal frühstücke ich im Kloster und bin angenehm überrascht, denn es gibt Saft und Joghurt. Ich habe noch keine Idee welche Route ich heute wähle. Heute Mittag ist ein Gewitter vorhergesagt und ich habe keine Lust, bei Regen triefend nass durch die Wälder zu stapfen ohne Perspektive auf Unterstand oder trockene Unterkunft. Einfach in der Ebene von Dorf zu Dorf laufen erscheint mir jedoch todlangweilig, obwohl die Route vielleicht sicherer aber auch länger ist.

Nach langem hin und her entscheide ich mich für die Route über das Kloster in Monteluco, also erstmal hoch auf den Berg. Obwohl die Temperaturen angenehm sind, quäle ich mich die Serpentinen des Waldweges hoch. Ich schwitze so sehr, dass meine Kappe den Schweiß nicht mehr aufnehmen kann. Tropfen für Tropfen rinnt mir von der Stirn über die Brillengläser und schließlich am Nasenflügel vorbei in meinen Mund. So kann ich mich schon mal einstimmen, was mich bei Regen erwarten wird. Die Entfernungsangaben irritieren mich. Sie scheinen sich auf die Luftlinie zu beziehen, denn von Schild zu Schild erkenne ich kaum, dass ich meinem Ziel näher komme.

Klosterzelle aus dem 13. Jahrhundert

Kurz vor dem Kloster komme ich durch einen heilig anheimelnden Zauberwald. So einen Wald wünsche ich mir irgendwann an meinem Tagesziel! Ich besichtige das Kloster. Die spartanischen Zellen wurden auch von Franz und seinen Brüdern bewohnt. Später auch einmal von Michelangelo. Ein wundervoller, ruhiger Ort, der Kreativität und Inspiration fördert. Denn die entsteht nicht in einem lärmenden Umfeld und einer Fülle von äußeren Reizen.

Egal was jetzt noch kommt. Ich bereue es schon jetzt nicht, dass ich diese Route wählte. An einem Kiosk trank ich noch einen Cappuccino und eine Cola bevor ich mich aufmache nach Ceselli. Der Weg ist erstklassig beschildert und ich habe in keinem Moment Zweifel bezüglich der Streckenführung. Ein blonder Jüngling mit freiem und durchtrainierten Oberkörper kommt mir entgegen. Wir grüßen uns und kommen kurz ins Gespräch. Er heißt Sam und lebt in Australien. Er kam extra zur Hochzeit eines Freundes nach Italien. Unsere Wege trennen sich wieder und ich pilgere weiter. Erst auf breiteren Waldwegen, dann auf einem schmalen, gerölligen Pfad am Steilhang.

Die Aussichten rauben mir fast den Atem. Stellenweise wünschte ich mir ich sei ein Vogel und könnte jetzt direkt ins Tal gleiten. Beim nächsten Schritt holt mich die Realität ein, denn der wechselweise steinige und lehmige Boden ist rutschig. Dank meiner Stöcke kann ich mein Schlingern abfangen. Ab sofort laufe ich ein wenig achtsamer. Dennoch wirkt der ein oder andere Stein auf meine Wanderstiefel als wären es Rollschuhe. Die Strecke erfordert meine volle Aufmerksamkeit. Nur ein falscher Schritt und ich stürze wahlweise den Abhang hinunter oder mein Knie zerschellt an einem der dicken Steine. Beides keine angenehme Vorstellung und so versuche ich ein Tempo zu finden bei dem ich sturzfrei sicher vorankomme.

Hinter mir höre ich Stimmen und kurze Zeit später donnern drei Mountainbiker an mir vorbei. Für mich unvorstellbar diesen schmalen Pfad zu radeln. Naja, der Letzte in der Gruppe ist sich seiner Sache wohl auch nicht so sicher und steigt stellenweise ab.

Ich komme an einen kleinen Wasserfall. Noch bevor mir der Gedanke kommt, mich dort zu erfrischen, kommt eine Gruppe Italiener. Jeder hat einen Rucksack, die meisten auch ein Kletterseil, einen Neoprenanzug und auch einen Helm. Ich vermute es sind „Canyoninger“, die gleich dem Lauf des Wassers folgen werden.

Ich folge dem Weg und habe noch weitere Begegnungen mit Canyoningern und auch Canyoningerinnen. Eine hält ein Speiseeis in der Hand, was meine Hoffnung auf die Nähe zur Zivilisation steigen lässt. Noch wenige Male kann ich Ausrutscher vermeiden, dann erreiche ich eine Straße über die ich zügigen Schrittes abwärts pilgern kann. Ich bin einfach nur glücklich, dass ich diesen Weg gewählt habe. Der Weg selbst, das Kloster, die wundervolle Schöpfung der Natur, dafür bin ich gerade sehr dankbar.

Im 4 km entfernten Ceselli ersehne ich eine Bar, erkenne jedoch keine und stimme mich missmutig darauf ein bis ins nächstgelegene Macenano weiterzupilgern. Am Ortsausgang sehe ich einen Mann in meinem Alter. Mit freiem Oberkörper fährt er gerade die Mülltonne raus. Im nächsten Augenblick lese ich auf einem Schild an seinem Zaun „Panini-Birra-Caffee“. Die Veranda ist überdacht und schaut einladend aus. Ich frage den Mann nach Getränken und er winkt mich in sein Haus. Drinnen entpuppt es sich als der lokale Feinkostladen. In der geräumigen Kühltheke sehe ich Käse, Schinken, Salami, Cola und Bier. Ich kaufe nur die Getränke und setze mich zum Verzehr auf die Veranda. Ich werde müde. Da mir angeboten wurde auf der Terrasse zu entspannen, gönne ich mir ein Mittagsschläfchen.

Ein sanftes Trommeln weckt mich. Es regnet. Halleluja, denke ich und freue mich, dass ich genau in diesem Moment hier bin. Irgendwie fügt sich alles. Der Regen wird stärker. Richtig dicke Tropfen hämmern auf den Asphalt. Die Luft kühlt merklich ab und ich genieße meinen trockenen Platz unter der Veranda. Der Regen lässt nach, hört schließlich auf und es bilden sich dünne Nebelschwaden auf dem Asphalt. „Smoke on the Road here“ Damm-Damm-Daaaa-Damm-Damm-Da-Daaaa.

Ich pilgere die Asphaltstraße weiter bergab und gelange zum Fluss Nera, die mit ordentlicher Fließgeschwindigkeit durchs weite Tal mäandert. Ich pilgere zügig auf dem bestens markierten Wanderweg. Eine Stelle des Weges ist aufgrund eines Erdrutsches unterbrochen. Ich folge der markierten Umleitung. Der Weg verläuft überwiegend bergab und ich freue mich über mein zügiges vorankommen. Weniger freue ich mich als ich die dunkelgraue Farbe des Himmels über Ferentillo erblicke.

Regenpause in Ferentillo

Gerne wäre ich bis Marmore gekommen, aber aufgrund dessen was da gleich kommen könnte ändere ich kurzerhand meinen Plan. Ich mag mich gerade nicht durch Regen quälen. Im lokalen Supermarkt versorge ich mich genau den Produkten bei welchen mein Körper signalisiert, dass er sie haben mag. So landen zwei Kiwi, eine Tomate, 150g Pecorino, ein Bier und ein Eiweißdrink in meinem Einkaufswagen. Zugegeben, bei dem Eiweißdrink, hat mein Gehirn ein bisschen unterstützt, weil ich eben denke, dass ich außer ein paar Vitaminen auch paar Eiweiße brauche, damit mein Körper die Muskeln aufbauen kann, die er braucht, um die Strecke bis Rom zu bewältigen.

Ich verlasse den Supermarkt und kurz darauf beginnt es in Strömen zu schütten und zu hageln. In einem Treppenhaus finde ich Schutz und vertilge erstmal die Tomate, die Kiwis und den Eiweißdrink. Danach mache ich bei nachlassendem Regen einen Rundgang durch das kleine Dörfchen und habe schon eine regensichere Übernachtungsmöglichkeit ausgekundschaftet.

Beruhigt gehe ich in eine Pizzeria, wo ich den einzigen freien Tisch zugewiesen bekomme und trinke ein Bier. Ich bin neugierig wo die beiden Saarländer stecken und rufe an. Sie liefen nur bis Ceselli, wo ich heute die Mittagspause verbrachte, also gut 10 km hinter mir. Vielleicht begegnen wir uns morgen nochmal, falls die beiden morgen gut vorankommen.

Mehr und mehr Italiener, kommen zu mir an den Tisch. Nachdem der Pizzabäcker seinen Ofen abgeschaltet hatte setzt er sich mit einer Flasche Bier dazu. Er schenkt mir einen Schluck aus seiner Bierflasche in mein Glas und wir kommen ins Gespräch. Er mag wissen wo ich herkomme, wo ich hinwill und ich beantworte bereitwillig seine Fragen. Das übliche halt: ich komme aus Deutschland, startete in Florenz, will nach Rom und ja! Alles zu Fuß. Auch die anderen am Tisch schalten sich in das Gespräch ein. Einer war als LKW Fahrer auch schon in Deutschland unterwegs und musste für Falsch-Pinkeln €50 berappen.

Der Fernseher wird eingeschaltet. Es läuft Fussball und draußen regnet es noch immer. Der Chef fragt, wo ich die Nacht verbringen wolle. Ich sage, dass ich noch keine Idee habe, aber zuversichtlich bin einen Platz zu finden. Daraufhin bietet er mir an in seinem Laden zu übernachten, wenn ich ihm verspreche, dass ich nicht alle Schnapsflaschen leere. Auf diesen Deal kannich mich gut einlassen. Nach der ersten Halbzeit des Championsleague Finales zwischen Real Madrid und Liverpool, gehen alle Gäste nach Hause. Der Chef löscht alle Lichter und bittet mich nur noch den Fernseher auszuschalten bevor ich Schlafen gehe. Danach schließt er mich in der Pizzeria ein. Real Madrid gewinnt mit einem Tor und ich gehe Schlafen. Ich versuche es zumindest. Und irgendwann gewinnt meine Müdigkeit gegen das Brummen der Kühlaggregate.

Trotz der qualvollen Entscheidung der Streckenwahl, trotz des qualvollen Aufstiegs nach Monteluca bin ich zufrieden über den Tagesverlauf und die gesammelten Eindrücke, die mir ohne alle Qualen verwehrt gewesen wären.

Pace e Bene.

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Planen.

Spoleto

Ich mag es Pläne zu machen und diese Umzusetzen. Beim Planen ist der Wissensstand ja durchaus ein anderer als bei der Umsetzung. So konnte ich nicht wissen, dass ich die Saarländer in Trevi treffen werde und wir noch gemeinsam einen netten Abend verbringen. Dabei entstand nun eine verlockende Situation, die mich verleitete von meinem Plan abzuweichen. In diesem Moment war mir die Gemeinschaft mit diesen fröhlichen, pilgernden Gesellen einfach wichtiger als an meinem Plan festzuhalten. Natürlich war mir bewusst, dass ich noch kein Lager für die Nacht hatte. Aber irgendwie richtet sich schon alles, wenn man auf dem Weg ist. Darauf vertraue ich.

Es war stockfinstere Nacht als wir auseinander gingen. Ich suchte die Markierungen des Weges und folgte ihnen in Richtung Pissignano in der Zuversicht auf dem Weg würde sich schon irgendwo eine angenehme ruhige Ecke finden, wo ich mein Nachtlager aufschlagen könnte. So verließ ich Trevi und freute mich über die Funktionstüchtigkeit meiner Stirnlampe. Sie spendete auf der abschüssigen Schotterpiste zumindest soviel Licht, dass ich nicht in einem Schlagloch versank oder stolperte. Ich pilgerte durch schemenhaft erkennbare Olivenhaine. Die mochte ich jedoch nicht als Lager nutzen, da es vermutlich Privatgrund ist und ich am kommenden Morgen nicht einem Rasenmäher zum Opfer fallen wollte.

Weder an der Kapelle Croce die Bovara noch an der privaten Benediktinerabtei San Pietro di Bovara fand ich ansprechende Lagerplätze. Ich irrte im Dunkel umher und fand kurz vor Pissignano einen geeigneten Platz nahe dem Tempietto sul Clitunno. Der Platz war einigermaßen eben, dunkel und aufgrund der großen Nadelgehölzen nicht einsehbar. Einzig ein Hund scheinte mich zu wittern und bellte sich die halbe Lunge aus dem Hals. Nachdem ich mein Lager aus Isomatte, Schlafsack und aufblasbarem Kopfkissen gebaut hatte, trank ich noch ein Bier und fiel trotz Hundegebell erschöpft in den Tiefschlaf. Zweimal wurde ich in der Nacht noch wach, schlief erfreulicherweise immer wieder ein.

Im Morgengrauen fühle ich mich erstaunlich erholt, räume direkt meine Sachen zusammen und ziehe los. Das was mir jetzt noch fehlt, ist ein kleines Frühstück. Bereits nach 1 km finde ich am Ortsausgang eine ansprechende Bar. Ich bestelle einen Cappuccino mit der doppelten Menge Kaffee zum Wachwerden und ein Käse-Schinken-Panini, um den kleinen Hunger zu stillen. Während ich mein Frühstück genieße, erfreue ich mich an dem frühmorgendliche Treiben in der Bar. Dort scheinen sich morgens Kollegen, Freunde und Bekannte zu treffen, um mit lebendigen Gesprächen ihren Arbeitstag zu beginnen.

Da ich in der Nacht noch ca. 5 km zurücklegte, hatte ich heute bis Spoleto nur noch knapp 20 km zu bewältigen. Um 7 Uhr fülle ich in der Bar noch meinen Wassersack auf und bemerke dabei, dass nicht nur in der Bar ein buntes Treiben war sondern auch in meinem Rucksack. Unbemerkt sind dort wohl gestern Nacht ein paar Ameisen eingezogen. Nicht schön, aber auch Ameisen sind Geschöpfe des Schöpfers und so will ich mich damit erst später auseinandersetzen und pilgere los. Auf den kommenden Kilometern passiere ich zahlreiche Plätze die als Nachtlager soviel heimeliger und geeigneter gewesen wären. Aber das konnte ich nicht ahnen als ich mein Nachtlager aufschlug und weitere Kilometer wollte ich um kurz vor Mitternacht auch nicht mehr begehen. Deshalb hadere ich auch nicht mit meiner Entscheidung.

Jakobskirche in San Giacomo

Mir scheint der Reiseführer mag auf eine entsprechende Anzahl von Höhenmetern nicht verzichten. So lief ich erstmal leicht bergauf nach La Bianca. Von dort wieder hinunter nach nach San Giacomo. In der Jakobskirche bestaune ich den Freskenzyklus von Lo Spagna, einem Maler der Renaissance. In der Darstellung ist außer der Marienkrönung auch das Hahnenwunder von Santo Domingo de la Calzada vom spanischen Jakobsweg dargestellt. Ich staune, dass diese Fresken vor knapp fünf Jahrhunderten hier geschaffen wurden. Wieviele Menschen mögen diese Fresken in dieser Zeit gesehen haben? Was mag die Menschen in ihrer Zeit bewegt haben?

Pilgern ist ein spiritueller Biathlon: Erst Strecke zurücklegen, dann Innehalten beim Besuch einer Kirche oder eines anderen spirituelle Ortes und dann wieder Strecke zurücklegen. Am Ende des Tagens werden bloß keine Gold-, Silber- oder Bronzemedaillen vergeben.

Anschließend pilgere ich auf dem Damm des ausgetrockneten Torrente Marroggia weiter nach Spoleto. Ich komme zügig voran und passiere um 9h30 den Ortseingang von Spoleto. Der Weg führt recht stupide an einer Ausfallstraße durch die Vorortsiedlungen leicht bergan. Ich gehe in einen Supermarkt und kaufe ein Lebensmittel. Dabei beobachte ich mein Einkaufsverhalten. Überwiegend kaufe ich Lebensmittel die ich daheim weniger kaufe, dafür lasse ich andere die ich daheim eher kaufe im Regal. Es zieht mich zum Obstregal und ich kaufe Äpfel und eine Birne. Schokolade und Chips oder Nüsse bleiben im Regal. Scheinbar versteht mein Gehirn die Botschaften meines Körpers und lenkt mich. Ich wundere mich auch darüber, dass ich den ganzen Tag über nur wenig Nahrung benötige.

Weshalb ist das im Alltag so anders? Beschäftige ich mich mehr mit dem Essen und esse weil mein Tagesplan es vorsieht, wann ich esse und höre weniger auf meinen Körper? Oder esse ich im Alltag um mich zu belohnen oder aus Zeitvertreib? Also hier auf dem Weg reicht mir trotz körperlicher Anstrengung weniger Nahrung. Vielleicht nährt mich die geistige Inspiration und ich denke einfach weniger ans Essen. Ich weiß es eben nicht. Cola steht in der Regel nie auf meinen Einkaufsliste. Hier packe ich jedoch auch Softdrinks ein. Meine Einkäufe schleppe ich bis zum Stadttor von Spoleto. Dort ist ein Park der mich einlädt eine Pause einzulegen und die Birne und Cola direkt zu Verzehren.

Die Nacht im Konvent di San Francesco di Monteluca zu verbringen, stelle ich mir als inspirierendes Nachtlager vor. Ich steige immer weiter die Gässchen in Spoleto auf und besichtige den Dom, welcher schon zu Lebzeiten von dem heiligen Franz hier stand. Vielleicht habe ich gerade keinen Sinn dafür, aber einen bleibenden Eindruck hinterlässt die Innengestaltung nicht. Ich freue mich als ich die Wegezeichen in Richtung Monteluca sehe und folge dem Pfad, der mich erst auf einen Panoramaweg führt und dann über eine Brücke verlaufen würde. Eben „würde“, wenn diese Brücke, die Goethe bereits bei seiner Italienreise begeistert erwähnte, nicht seit dem Erdbeben 2016 gesperrt wäre.

Allein die Vorstellung hinunter ins Tal zu pilgern, um auf der gegenüberliegenden Hangseite erst auf gleiches Niveau und dann noch höher aufzusteigen, weckte keine Begeisterung. So laufe ich zurück in die Stadt ins Tourismusbüro, wo ich zuvorkommende Unterstützung in deutscher Sprache erfahre. Dieser Plan geht auf, der Mann im Tourismusbüro organisierte mir ein Zimmer bei den Schwestern des Kindes Jesu , wo ich ich direkt hinpilgere. Das Schwestern Kloster ist ein sehr friedlicher Ort, wo ich freundlich empfangen werde und nach alle Formalitäten mein Zimmer mit Dusche und WC beziehe. Ich wasche zuerst mich selbst und danach meine Sachen, bevor ich in den Tiefschlaf verfalle.

Der heilige Franz hatte auch Pläne. Nur allzu gerne wäre er durch Teilnahme am Kriegsdienst ein geehrter und geachteter Ritter geworden. So zog er mit einigen Adeligen aus Assisi in den in den Krieg und übertraf alle mit mit prunkvollen Kleidern und Waffen. Was auch immer auf den knapp 50 km zwischen Assisi und Spoleto passierte, hier in Spoleto bekam er Fieber und konnte nicht weiterreisen. Er verschenkte seine Rüstung und seine Waffen und kehrte unter Hohn und Spott zurück nach Assisi. Nun musste er umdenken und neue Pläne schmieden, um Anerkennung zu finden und gesehen zu werden.

Als ich aus meinem Mittagsschlaf erwache ist es bewölkt und ich höre die ersten Donnerschläge, obwohl es gemäß Wetterbericht heute gar nicht gewittert, sondern erst morgen. Das Wetter kann auch jederzeit meine Pläne beeinflussen. Einerseits will ich auf meinem Weg nach Rom vorankommen und gleichzeitig kann ich mir nicht vorstellen, die Steilhänge wie in den vergangenen Tage auch noch bei Gewitterregen zu bewältigen. Aber das ist ja erst morgen. Heute bin ich hier in Spoleto und mag zumindest ein paar Eindrücke von Spoleto aufsaugen. Ich habe einen Schlüssel für die Klosterpforte und kann jederzeit ein- und austreten. Ich gehe in eine Bar auf dem Marktplatz, bestelle ein Bier und genieße die Atmosphäre.

Pilgergruppen ziehen vorbei, Touristen gehen in die Snack Bar, um sich mit einem Getränk zu erfrischen. Regen setzt ein und mehr und mehr Menschen suchen Zuflucht in der Bar. Leider halten die großen Schirme nicht was sie versprechen und ich flüchte mich in den Innenbereich. Ich freue mich gerade, dass ich nicht stur an meinem Plan festhalte und ihn mit aller Gewalt umsetze sondern meine Pläne flexibel und agil an die Gegebenheiten anpassen kann. Genau mein Ding, denn so kann ich trotz veränderlicher äußerer Begebenheiten dennoch auf meinem Weg vorankommen.

Ich habe gerade noch keinen Plan, wie ich den Abend verbringen werde. Das ändert sich als ich über Whatsapp mitbekomme, dass die beiden Saarländer ebenfalls in Spoleto angekommen sind. Wir verabreden uns und treffen uns zum Abendessen in einer kultigen Kneipe.

Das Restaurant „Al 3.0 Bistrot“ wird von drei Frauen geführt. Eine kocht, eine bedient und eine serviert. Die Speisekarte hatte keine Preise, dafür umso interessante Gerichte. Ich nahm einen Salat mit Thunfisch und hausgemachte Tagliatelle mit hausgemachter Wildschweinsauce.

Meine Salatportion war reichlich groß und kreativ dekoriert. Die Tagliatelle war ebenfalls lecker und pikant abgeschmeckt. Kein Vergleich zu dem Restaurant in Trevi, wo der Salat ebenso lieblos serviert wurde wie das geschnittene Steak und die Preise „wegen Corona“ je Gericht 2€ teurer waren als auf der Karte angegeben. Wir erzählen von unserer Tagesroute. Da ich die Route durchs Tal wählte, war ich noch vor dem Regen in Spolento angekommen. Die Beiden liefen die hügelige Strecke und wären vom Hagelschauer überrascht worden, hätte sie nicht vorher ein Auto nach Spoleto mitgenommen.

Es war ein geselliger Abend und ich gehe zufrieden zu meiner Klosterherberge zurück. Pace e Bene.

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Offenheit.

Stadtansicht Trevi

Ich bin früh wach und verlasse bereits um 7 Uhr meine Unterkunft. Ich verlasse Assisi über den schnurgeraden Weg zur Basilika Santa Maria Degli Angeli. Wenn ich meinem Reiseführer trauen darf ist es sogar eine der größten Kirchen der Welt. So groß, dass in der Vierung unter der Kuppel ein kleines Kirchlein Platz findet. Soweit ich weiß ist der heilige Franz hier gestorben und wollte auch hier beerdigt werden. Doch der Papst hatte anders entschieden.

Ich genieße in einer Bar gerade noch einen Cappuccino, ein Schinkencroissant und einen Saft, da sehe ich die Münchnerin auf dem Weg zur Kirche. Ich winke ihr zu und sie zeigt sich überrascht, weil sie mich so früh nicht hier erwartet hätte. Wir wechselten ein paar Worte, dann besichtigt sie die Basilika. Als ich mit meinem Frühstück fertig bin, endete auch ihre Besichtigungstour. Wenige Meter gehen wir noch gemeinsam bevor wir uns herzlich und endgültig verabschieden. Sie pilgert zum Bahnhof und ich weiter in Richtung Rom.

Meine Etappe verläuft überwiegend eben. Denke ich zumindest bis ich in Rivereto eines besseren belehrt werde. Zumindest bis dahin komme ich mit meinen Stöcken zügig voran. Als ich einen älteren walkenden Herren überhole sagt er, das rhythmische Klackern meiner Stöcke klänge so, als würde ihn ein Traktor überholen. Gleichmäßig und zügig komme ich voran. Hinter Rivereto führt mich eine steile Straße unter meinem leisem Jammern den Hang hinauf. Oben angekommen pilgere ich auf einem Panoramaweg mit Blick über die vor mir liegende Ebene. Erst laufe ich auf einer Nebenstraße, dann auf Schotterwegen. Immer oberhalb der Superstrada, dessen Verkehrslärm so laut ist, dass er selbst das Klackern meiner Wanderstöcke übertönt. Ich bin genervt, denn ich wünsche mir Ruhe, um den Weg zu genießen.

Bei meinem konstanten Tempo erreiche Spello bereits um 11h30. Ein blühendes Städtchen mit mittelalterlichem Charme. Eigentlich ein Ort zum Entdecken, Verweilen und Wohlfühlen. Doch mir war heute eher nach Strecke zurücklegen als nach mittelalterlicher Stadterkundung. Irgendwie will ich auch den Abschied verarbeiten. Alle Pilger die ich in den vergangenen Tagen traf, die so herzlich offen waren, über die Begegnungen die mich jedes Mal erfreuten, wenn ich sie auf der Strecke oder im Ziel sah. Sie haben ihre Pilgerreise in Assisi beendet und sind bereits auf der Heimreise.

Ich bin selbst erstaunt, dass innerhalb so kurzer Zeit aus mehrfachen, flüchtigen Begegnungen diese Verbundenheit entsteht. Ich glaube, weil sich die Pilger unabhängig von Berufsbild, Status, Einkommen, Alter und Geschlecht offen und authentisch in Augenhöhe einander begegnen. Pilger hören mit Aufmerksamkeit den anderen zu. Alle Pilger sind vereint durch ihre individuelle Erfahrung auf dem Weg. den jeder mit seiner Last in seinem Tempo begeht. Ich glaube, wenn sich die Menschen im Alltag so begegnen würden, wie sie sich als Pilger begegnen, wäre die Welt ein friedlicherer Ort.

Über eine Nebenstraße die parallel zur Superstrada geführt wird gelange ich bereits eine Stunde später nach Foligno. Hier verkaufte Franz auf dem Markt die Stoffe seines Vaters, um die Renovierung von San Damiano zu finanzieren. Leider erscheint mir Foligno wenig attraktiv. Ich verbringe hier meine Mittagspause mit einem erfrischenden Weizenbier an der Piazza und ziehe beschwingt weiter. Beschwingt bis ich die Hauptverkehrsstrasse erreiche, an welcher der Weg verläuft. Wieder bin ich genervt.

Das Thermometer steigt auf 32Grad und bergauf quält mich jeder einzelne Schritt. Mein Tempo lässt mit zunehmender Temperatur und der Menge an gelaufenen Kilometer stetig nach. Aber ich habe mich ja bewusst für eine lange Etappe entschieden und mir hätte klar sein können, dass dieser körperliche Schmerz kommen wird. Vielleicht wird es dadurch leichter den seelischen „Schmerz“ des Abschieds von den anderen Pilgern zu überwinden.

Piazza in Trevi bei Nacht.

Ich bin 4 km vor Trevi. Die Fußsohlen brennen vom Laufen auf dem heißen Asphalt. Nach einer Steigung blicke ich zurück. Assisi ist am Horizont nur noch schemenhaft zu erkennen. Ich erreiche eine Bar und entscheide mich zu einer kurzen Erfrischungspause und hoffe durch eine Cola und ein Radler meine Energiereserven ein wenig aufzufüllen. Ich laufe weiter, der Weg steigt weiter an. Auf einmal lese ich nach dem Schild mit der Kilometerangabe Trevi 2km plötzlich 3,2km. Ich bin verzweifelt. Egal, jede Form der Jammerei hilft mir jetzt nicht mehr. Auch nicht auf der steilen Rampe über welche ich eine ebene Straße und auch Trevi erreiche. Am Ortseingang gibt es ein wundervolles Panorama von Trevi.

Und wer taucht am Horizont auf? Die zwei Saarländer. Sie sind die Etappe mit einer Übernachtung in Spello in zwei Tagen gelaufen. Die Freude ist groß und wir haben beim Apero und beim Abendessen eine gesellige Zeit verbracht. Die Frage nach meinem Nachtquartier ist noch offen. Darum kümmere ich mich als Nächstes und da bin ich für alles offen. Pace e Bene.

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Neid.

Panorama Monte Subasio

Gelegentlich bin ich neidisch. Nicht auf diejenigen die mehr oder schönere Sachen oder was weiß ich haben. Nein. Hier auf dem Weg bin ich gerade beim bergauf pilgern neidisch auf diejenigen, die mit leichterem Gepäck unterwegs sind und nicht so schwere Lasten mit sich herumschleppen wie ich. Das sind die Momente, wo ich mich besinne weshalb ich so viele Dinge dabei habe. Überwiegend, um meine Unabhängigkeit von Wetter und Zimmerverfügbarkeit sicherzustellen. Und schon wird es leichter. Um mich dennoch mal einzufühlen, wie es ist mit leichtem Gepäck unterwegs zu sein, pilgere ich heute nur mit Daypack Rucksack hoch auf den Monte Subasio.

Leicht geht es aufwärts. Oben angekommen genieße ich den atemberaubenden Blick über Umbrien. Ich bin ganz nah am Himmel. Von hier oben, vom Gipfel gewinne ich den Überblick. In Einsamkeit und Stille blicke ich auf meinen Weg zurück, blicke auf die Etappen die vor mir liegen und genieße mein Sein im Hier und Jetzt. Von hier oben schaut alles zum Greifen nahe aus. Ich reflektiere mit wem war ich gerne auf einer Wegstrecke, mit wem lief es leicht und mit wem war es eher anstrengend, beziehungsweise wem laufe ich hinterher und vor wem laufe ich weg?

Ich sinniere über das Bild auf welchem Franz die Tauben segnet und wo er sich über das Evangelium den Weg vom Sichtbaren hinein ins Unsichtbare, die Schöpfung und darüber den Weg zu Gott erschlossen hatte. Genau so verhält es doch, wenn ich jemanden kennenlerne. Vom Sichtbaren der Kleidung, der Mimik, der Gestik, dem Verhalten erschließe ich mit das Unsichtbare, eben die Werte und Einstellungen des Anderen.

Gerade kommt mir der abstrakte Gedanke: „Städte sind Stätten, wo des Schöpfers Geschöpfe schöpften und dort heute meist erschöpft sind.“ Es hängt alles irgendwie zusammen.

Ich steige vom grasbewachsenen 1.290m hohen Gipfel des Monte Subasio wieder hinab. Der Weg über die Straße erscheint mir unverhältnismäßig lang und so laufe ich auf Sicht einfach der Falllinie nach zu einem Gipfelkreuz. Dann suche ich mir Trampelpfade und wie aus dem Nichts taucht plötzlich ein Wegweiser zur Eremo Cerceri auf. Der Weg verschwindet im Wald und ich auf demselbigen ebenso. In Serpentinen laufe ich beschwingt und mit Leichtigkeit abwärts.

Statue des Franziskus

Ich besichtige die Einsiedelei und genieße die Ruhe. Zuerst betrachte ich mir San Francescos Schlafstelle und seine Kapelle. Verlasse diese Stätte durch eine winzige Tür, die ich nur gebückt und mit angelegten Armen passieren kann. So gelange ich in eine Schlucht in welcher ich die Höhlen der ersten Brüder besichtigen kann. In der Luft liegt ein Duft von Thymian.

Die Franziskus Statue beeindruckt mich, denn sie umfasst alle Weltreligionen und drückt die universelle Liebe des Franziskus aus. Ich pilgere zurück nach Assisi, um mich erstmal in einer Bar zu erfrischen, denn mein am Morgen begonnener Rundgang war immerhin 22km lang, wobei ich über 1.000 Höhenmeter überwand. Es war fast spielerisch diesen Weg mit leichtem Gepäck zu begehen.

Danach laufe ich zu San Damiano, ein wenig außerhalb von Assisi. In dieser Kirche empfing der heilige Franz von dem Kreuz die Botschaft, dass er die Kirche renovieren solle. Daraufhin nahm er ungefragt die Stoffe seines Vaters und verkaufte sie auf dem Markt in Foligno, um das Geld für die Renovierung zu bekommen. Sein Vater war damit nicht einverstanden, was ich durchaus nachvollziehen kann und es entstand der Konflikt .

In San Damiano waren einige Touristengruppen und es gab sogar Führungen in Gebärdensprache. Die heilige Chiara, die Franz sehr nahe stand, lebte und starb dort im Alter von 60 Jahren. Es berührt mich, wie sehr für Franz und auch für Chiara die Suche nach Sinn so viel erfüllender war, als die Suche nach Erfolg und monetärem Wohlstand.

Kreuz in San Damiano

Anschließend besichtige ich noch die Basilika Santa Chiara wo das Originalkreuz aus dem 12. Jahrhundert hängt. Die Gestaltung des Jesus am Kreuz begeistert mich, denn ich erkenne Jesus nicht leidend und gewunden am Kreuz, sondern aufrecht und geradezu aufstrebend. Das macht diese Darstellung besonders.

Anschließend gehe ich zurück auf mein Zimmer, schnappe mir einen Stuhl, setzte mich auf den Balkon der Herberge. In der Abendsonne genieße ich den Blick über die Ebene.

Um 19 Uhr pilgere ich auf die Piazza Comune und bin überrascht, dass ich keine bekannten Pilger sehe. Ich erinnere mich an die Verabredung, dass alle die noch verblieben sind, sich noch einmal zum Abschied treffen. Aber vielleicht sind Abschiedsrituale nichts für den ein oder anderen. Eine Weile sitze ich alleine in der Bar. Dann trudelt erst die Münchnerin und dann die Lehrerin, die heute in Assisi ankam, ein. Von den anderen war immer noch keine Spur und so gehen wir zu dritt in die Pizzeria Othello. Ich nehme wieder einen Salat und einen Portion Pasta mit Wildschweinbolognesesauce. Sehr lecker und bestimmt förderlich für die Etappe des nächsten Tages.

Als die Dämmerung einsetzt, gehen wir noch gemeinsam zur Basilika San Francesco, um die Abendstimmung einzufangen. Die Stimmung ist ein wenig wehmütig, denn wir werden uns wohl nicht wieder sehen. Wir trennen uns in Dankbarkeit für die Begegnung.

Ich bin kein bisschen neidisch, dass sie weiter in Assisi bleiben beziehungsweise morgen nach Hause fahren. Nein ich bin zufrieden und froh mit dem was ich habe: eine weitere Zeit auf meinem weiteren Weg nach Rom. Ich betrauere jedoch die Trennung von den in kurzer Zeit so vertraut gewordenen Menschen, aber so spielt das Leben. Es besteht aus Veränderungen, aus Begegnungen und Trennungen. Wobei ich das was ich in einmal in ein Herz geschlossen habe, nicht mehr raus lasse. Auch wenn es für mich nicht mehr greifbar ist. Pace e Bene.

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Mitte.

Graffitti Assisi

M steht im Alphabet in der Mitte und ich pilgere heute zur Mitte meiner Pilgerreise: meinem Zwischenziel Assisi. Dort wurde der Heilige Franz geboren, dort hatte er mit seinem Vater gebrochen und bereits zwei Jahre nach seinem Tod begann dort der Bau der Basilika über seinem Grab. Am Morgen treffe ich wieder zahlreiche Pilger in der Bar. Ich genieße einen Cappuccino und ein Croissant und ziehe los, denn ich mag den 16 km langen Weg und mit den ersten Steigungen der insgesamt 630 Höhenmetern in Ruhe und in meinem Tempo alleine genießen.

Valfabbrica verlasse ich an einer Mauer mit Graffitis, welche Szenen aus dem Leben des Franz darstellen. Bald geht es in den Wald und schon wird es steil. Jeder Schritt wird von Vogelgezwitscher und dem Geplätscher des Baches melodisch begleitet. Noch ist die Luft angenehm temperiert und sauerstoffreiche, so dass ich gut vorankomme.

Beim Aufstieg sinniere ich über Zwischenziele, Lebensziele, die Bedeutung dessen was ich habe, was ich eben bin und was von beidem erstrebenswert ist. (Beispiel: „ich habe Kinder.“ ist eine andere Aussage als „ich bin Vater.“) Ich erinnere mich dabei an ein Gespräch auf dem Weg. Als der Bekannte eines Mitpilgers erfahren hatte, dass er den Franziskusweg laufen wird schwärmte der Bekannte, dass dies sein Lebensziel sei: Einmal den Franziskusweg zu pilgern. Ich wunderte mich und fragte weshalb er es dann nicht einfach macht? Die Antwort liegt auf der Hand: Wenn das Lebensziel erreicht ist, was kann dann noch kommen?

Ähnliches hatte ich erlebt. Mein Lebensziel war es mit dreißig mit einer Familie ein eigenes Haus mit Garten zu bewohnen. Das Ziel habe ich erreicht und mit meinem dreißigsten Geburtstag begann nicht nur ein neues Lebensjahrzehnt sondern auch meine Krise. Ich habe alles erreicht, was ich wollte. Was kann jetzt schon noch kommen? Diese Krise dauerte zehn Jahre und es entstand eine Fantasie, dass ich meinen vierzigsten Geburtstag wohl nicht erreichen werde. Rückblickend freue ich mich total, dass ich den vierzigsten und inzwischen sogar den fünfzigsten Geburtstag erreicht habe und ich diese Krise überwunden habe.

Die Zeit nach meinem vierzigsten Geburtstag ist für mich geschenkte Zeit und daraus resultiert Freiheit und Autonomie. Vielleicht war ich ein wenig zu autonom in meiner Lebensmitte. Einerseits einer Zeit eines neuen Aufbruchs, eine Revolution die mein Leben in vielen Schattierungen veränderte. Scheinbar benötigen radikale Änderungen auch radikale Brüche. Eben so wie bei Franziskus, der radikal mit seinem Vater brach, um umzubrechen, um ein neues Leben in Armut zu beginnen. Manches geht einfach nicht schleichend oder scheibchenweise, sondern nur auf einmal am Stück.

Auf dem Weg ist mir nochmal bewusst geworden, dass es mir nützlicher erscheint, individuelle Ziele zu entwicklen und zu erreichen. Welche Art von Mensch möchte ich sein, wie möchte ich mit meiner Mitwelt umgehen, wie möchte ich mit Geld umgehen, etc. Fürsorglich und wertschätzend für Andere da sein und mich selbst dabei nicht aus dem Blick zu verlieren. Ich denke, dass ist für mich ein attraktives Lebensziel.

Entlastung am Pilgerkreuz

Ich sammele ein Stein auf und trage ihn in der Hand der Berg hinauf. Am Pilgerkreuz, dem höchsten Punkt der heutigen Etappe, entledigte ich mich eines Steins. Ein symbolisches Ablegen einer Last, die ich mit mir herumtrage. Das mich zum nächsten Punkt bringt. Welche Lasten schleppe ich denn im Leben mit mir herum und was hindert mich daran mein Lebensziel umzusetzen?

Am Pilgerkreuz werden Glücksgefühle wach, denn in der Ferne kann ich bereits die Basilika in Assisi sehen und mein Zwischenziel ist in greifbarer Nähe. Ich treffe die dänische Kindergärtnerin wieder. Ihr wurde auf dem Weg bewusst, wie wichtig ihr die Zugehörigkeit zur Gruppe der Pilger ist. Und das erfreut sie so sehr am Pilgern. Alle Pilger begehen den Weg mit ihren Themen. Die Gespräch sind eher tiefgründig, bedeutungsvoll und berührend. Zumindest mit den meisten Pilgern. Und dabei ist es völlig unabhängig, ob da eine Unternehmensberaterin, eine Ärztin oder ein Facharbeiter auf dem Weg sind. Die Themen, wie Leben gestaltet werden kann, wo die Quellen der Inspiration stecken sind bei nahezu allen identisch.

Meine Ankunft in Assisi 24.05.2022

Als mich die Münchnerin in der Pause einholt, gehen wir die restlichen Kilometer nach Assisi gemeinsam. Ins Gespräch vertieft, haben wir wohl eine wesentliche Markierung übersehe und irrten durch eine Talsenke. Wir laufen wieder zurück, gelangen auf den richtigen Weg und steigen die letzten Meter gemeinsam mit der Dänin die steile Asphaltstraße nach Assisi auf. Nach Durchschreiten der Stadtmauer stehen wir vor der Basilika San Francesco. Ich bin glücklich und freue mich, dass ich das Zwischenziel Assisi erreicht habe.

Auf dem Weg in die Basilika entdecke ich das Pilgerbüro und erhalte einen weiteren Stempel und die Pilgerurkunde für mein Zwischenziel. Bei Verlassen des Pilgerbüros werden ich von Bruder Thomas aufgefischt. Er ist Franziskaner und für die deutschsprachigen Pilger in Assisi zuständig. Er lädt uns für 16 Uhr zu seiner deutschsprachigen Führung ein. Wir danken, machen eine erste Erkundung in der Basilika und setzen uns nochmal auf eine Bank. Es tauchen nach und nach die anderen Pilger auf. Ich freue mich, alle nochmal wieder zu sehen. Wir verabreden uns für 19 Uhr auf der Piazza Comune.

Ich habe noch kein Zimmer und telefoniere mich durch die kirchlichen Unterkünfte. Leider sind diese alle belegt. Für heute zumindest, morgen sei noch alles frei, aber heute leider nicht. Ich bin frustriert, dass kein Bett mehr für mich frei ist und mag auch nicht mehr so viele Unterkünfte abtelefonieren. Ich buche über Booking.Com die Unterkunft mit dem besten Preis-Leistungsverhältinis für die kommenden beiden Nächte. Hier in Assisi mag ich nicht einfach nur durchhetzen sondern gemütlich verweilen, die Stimmung auf mich wirken lassen und weitere spirituelle Orte in der Umgebung erkunden. Ich buche Camere Mariani Marini für 70€. Eine schlichte, aber saubere Unterkunft mit Ausblick über die Ebene. Leider ohne Frühstück, aber das macht mir nichts aus, denn aufgrund der zentralen Lage sind zahlreiche Bars schnell zu erreichen.

Franziskaner Bruder Thomas und ich

Ich suche die Unterkunft auf, wasche meine Wäsche, dusche, mache noch einen kurzen Mittagsschlaf und eile zur Basilika, damit ich die Führung auf keinen Fall verpasse. Da hätte ich auch wirklich was verpasst, denn Bruder Thomas aus Speyer hat in feinstem Pfälzer Dialekt über eine Stunde lang anhand der Wandbilder der Kathedrale die Botschaft von dem heiligen Franz verkündet. Es war sensationell und hat mich in meinem Verständnis weitergebracht als hätte ich es mir selbst erschlossen. Anhand des Evangeliums die Schöpfung und den Schöpfer vom Sichtbaren ins Unsichtbare ergründen. Die Führung von Bruder Thomas war frei von religiösem Schnickschnack und ich erhielt ein lebendiges Verständnis von den Ideen des heiligen Franz und der Bildsprache der mittelalterlichen Malerei. Eine wahre Quelle der Inspiration, die mein Verständnis von Armut, Gehorsam und Keuschheit vertiefen.

Am Abend trafen sich der harte Kern des Pilgergrüppchens um 19 Uhr an der Piazza. Wir tauschen uns aus und verabschieden die Saarländer die bereits morgen weiter in Richtung Rom ziehen werden. Wir feiern, dass wir uns begegneten, trauern, dass wir uns verabschieden und feiern die gemeinsam Zeit der gegenseitigen Bereicherung. Der Abend klingtin der Pizzeria Othello direkt am neben dem Geburtshaus von Franz aus. Zufrieden gehe ich zurück in meine Unterkunft und schlafe in Frieden.

Pace e Bene.

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Liebe.

Ruine

Mein Nachtlager schlage ich im Hof der nahegelegenen Burg bzw. Burgruine auf. Das Gebäude selbst ist noch recht gut erhalten und es hat den Anschein, als hätte man vor längerer Zeit umfassende Renovierungspläne verfolgt. Aber nachdem Dach und Decken geflickt wurden, schien entweder Lust oder Geld oder beides ausgegangen zu sein. Ein Hase hoppelt mir entgegen. Ich suche mir eine Ecke, die zumindest einigermaßen frei ist von Ameisen und Glasscherben. Obwohl ich mit den beiden Saarländern bereits zwei Bier getrunken hatte, so öffne ich eine weitere Flasche. Dazu verzehrte ich ein paar Sardellen und Weißbrot und habe bald die nötige Bettschwere.

Ein paar Fledermäuse flattern umher und es entsteht eine gespenstische Stimmung. Noch bevor es stockfinster ist, krabbele ich in meinen Schlafsack und komme sogleich zur Ruhe. Um 1h wache ich das erste Mal auf. Ein Uhu macht auf sich aufmerksam. Es knackst und knarrt aus unterschiedlichen Ecken. Nach einer Weile komme ich wieder in den Schlaf und träume von Festen, die hier vielleicht mal gefeiert wurden. Um 4 Uhr höre ich in regelmäßigen Abständen ein lautes Quieken, das irgendwo aus einem der oberen Stockwerk zu kommen schien. Ich habe zwar gerade keine Todesangst, aber ein mulmiges Gefühl macht sich dennoch breit. Wo ist meine Taschenlampe? Ich finde sie und leuchte das Gelände aus. Ich erkenne nichts, dafür verstummt dieses laute helle Quieken. Kurz darauf höre ich das Knarzen eines rostigen Scharniers, was mein Gefühl nicht verbessert.

Wenn jetzt jemand bei mir wäre der mir die Angst nehmen könnte. Eine der Kräfte die hilft die Angst zu überwinden ist die Liebe. Selbst wenn diese Person den Angriff eines Wolfes oder einer Rotte Wildschweine nicht abwenden könnte, so kann eine geliebte Person immerhin helfen, das Gefühl der Angst zu überwinden. Problematisch dabei ist, dass wenn ich gefunden habe, das mir hilft meine Angst zu überwinden, entsteht eine neue Angst. Nämlich genau das wieder zu verlieren. Das ist schon vertrackt. Selbstliebe oder der Glaube an die Liebe Gottes kann auch helfen, um die Angst zu überwinden. Ich versuche es genau jetzt mit Beidem und komme wieder zur Ruhe.

Aber was ist Liebe überhaupt? Als Gefühl sicherlich dieses aufregende Gefühl, wenn sich im Gehirn ein toxischer Mix aus unterschiedlichsten Hormonen bildet, der die Kontrolle über Sinn und Verstand verlieren lässt. Irrtümlicher Weise wird ja auch von „Liebe machen“ gesprochen, aber das bezieht sich wohl eher auf die körperliche Begierde, die dazu führt, dass die Menschheit nicht ausstirbt. Da kommt es schon mal schnell zu Verwechslungen.

Das menschliche Bedürfnis nach Liebe besteht aus dem tiefen Wunsch heraus für einen anderen Menschen wichtig zu sein. Und eben von diesem auch gehört und gesehen zu werden mit allen seinen Sorgen und Nöten. Die Idee des Glaubens an die Gottesliebe erfüllt vermutlich genau dieses Bedürfnis. Für Gott bin ich wichtig. Er liebt mich so wie ich bin und ich kann ihm alles anvertrauen. Das macht für mich Sinn und gleichzeitig merke ich, dass meine Gedanken dazu noch ein wenig unsortiert sind. Aber ich denke die Richtung stimmt.

Langsam kommt die Morgendämmerung und die Vögel zwitschern. Um 6h30 wache ich wieder auf und packe zusammen. Ich gehe zurück zu der Bar und warte, dass sie um 7h30 öffnet. Es ist angenehm ruhig hier oben. Die Herbergsmutter kommt um 7h28 und öffnet pünktlich. Es wird zwar ein Frühstück serviert, ich entscheide mich jedoch für einen Cappuccino und ein Stück Rührkuchen. Beides zusammen für 4€. Als ich fertig bin, erhalte ich noch meinen Stempel und pilgere los.

Die heutige Etappe ist eher anspruchslos. Es geht überwiegend auf einer Schotterpiste bergab. Dann weiter am Hang entlang ein wenig rauf und runter, über Bachläufe hinweg und letztlich auf die Straße oberhalb des Lago di Valfabbrica mit einer überdimensionierten Staumauer. Auf dem Weg liegt eine kopflose Schlange. Es gibt einen Abzweig nach Coccorano, wo der Weg aufwärts zu einem Pilgerkreuz vorbeigeführt wird. Ich habe heute keine Lust auf unnötige Steigungen und pilgere auf der nahezu unbefahrenen Straße oberhalb des Stausees. Ich komme zügig voran und gelange noch vor 11 Uhr nach Valfabbrica.

In der ersten Bar im Zentrum lasse ich mich nieder und trinke einen Kaffee und ein Wasser. In Valfabbrica ist zwar wenig los, aber das ist genau das wonach mir der Sinn steht. Vor der letzten Etappe nach Assisi noch mal den Tag genießen und frische Kraft schöpfen. Das ist die Idee des heutigen Tages. Natürlich käme ich noch weiter bis Assisi, aber das mag ich für heute nicht. Während ich so sitze und sinniere, kommt die Münchnerin mit einem Italiener vorbei. Sie gesellen sich zu mir und ich bitte den Italiener nochmal im Casa Bettania anzurufen. Als ich dort anrief verstand ich zwar, dass es freie Zimmer gibt, konnte jedoch mangels Telefonverbindung und mangelhafter Italienischkenntnisse die Einzelheiten, also wie das Bett und ich zusammenkommen nicht verstehen. Er kam leider auch nicht weiter.

Es kamen immer mehr und mehr Pilger. Alle die ich in den vergangenen Tagen getroffen hatte kamen hier zusammen. Die Saarbrücker, die Norddeutschen, die Tübinger, die Augsburger und noch einige Italiener und Pilger die ich zwar nicht getroffen hatte, die jedoch mit den anderen bekannt waren. Es ist sehr gesellig.

Langsam mache ich mir jedoch Gedanken über mein Nachtquartier. Ich werde unruhig, vor allem da ich bereits einige Absagen erhalten habe. Von den Saarländern spricht einer fließend italienisch und wir klappern gemeinsam alle Herbergen ab. Bei meiner ersten Wahl dem Casa Bettania kommen wir unter. Drei Nonnen kommen um 15 Uhr angefahren und zeigen uns die Zimmer. Ich freue mich, über die Dusche und ein Mittagsschläfchen. Danach gehe ich zurück zu der Bar und treffe natürlich wieder alle Pilger. Wir verabreden uns für heute Abend zum gemeinsamen Abendessen. Ich bin gespannt.

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Keuschheit.

Landschaft Blick auf Gubbio

Ich wache noch vor meinem Wecker um 7 Uhr auf und erledige die übliche Morgenprozedur. Um 7 Uhr 45 verlasse ich den Convent und hinterlasse meine Spende in einer scheinbar extra für mich aufgestellten Spendenbox. Andere Gäste habe ich zumindest in dem Convent weder gehört noch gesehen. So lief ich nochmal rein nach Gubbio, wo heute das große Spektakel das „Festa dei Ceri“ stattfinden wird. Überall sammeln sich die unterschiedlichen Stadtteilgruppen, um später gegeneinander anzutreten. Allerdings wird, wie in jedem Jahr, das Team des heiligen Sankt Ubaldus, der Schutzpatron der Stadt gewinnen. Mir wird es zu trubelig und auf meinem heutigen Weg mag ich mich mit der Keuschheit einem weiteren Prinzip des Heiligen Franz auseinandersetzten.

Doch zunächst kaufe ich am frühen Sonntagmorgen in einem Lebensmittelladen zwei Äpfel und eine Ecke Weißbrot, um für die heutige Etappe meine Notration zu sichern. Bei Verlassen des Alimentari zieht bereits die erste kostümierte Trommelgruppe an mir vorbei. Ich verlasse die Stadt durch eins der Stadttore und genieße in einer Bar einen doppelten Cappuccino und ein mit Thunfisch und Artischockenherzen belegtes Croissant. Lecker! Und vor allem alles außer gewöhnlich. Danach ziehe ich weiter und besichtige vor dem endgültigen Verlassen der Stadt noch das Kirchlein Santa Maria della Vittorina aus dem 9. Jahrhundert. Davor mache ich noch ein paar Fotos von der Statue wie Franz den Wolf zähmt.

Die weitere Strecke bis Ponte d’Assi verläuft schnurgerade und leicht bergab. Außer auf den laufenden Verkehr brauche ich auf nichts zu Achten. Dabei sind meine Stöcke meine treuen Begleiter. Ich halte sie an meiner Hand. Sie unterstützen mich, wenn es bergauf geht und geben mir Halt wenn‘s mal leichter wird und ich übermütig werde.

Meine Gedanken kreisen, um die von Franziskus vorgeschriebene Keuschheit. Bei diesem Begriff verspüre ich Irritationen, denn ich beziehe die Keuschheit auf komplette sexuelle Enthaltsamkeit. Und wären die Eltern des Heiligen Franz so keusch gewesen, wie es Franziskus wohl gewollt hätte, ja, dann wäre der Franziskus ja erst gar nicht entstanden. Etwas zu verleugnen, was in der Sache unwiderruflich zu mir gehört, halte ich erstmal für problematisch, da ich damit ja auch immer einen Teil von mir verleugne oder ablehne. Ich glaube so komme ich nicht gesund durch mein Leben.

Bei Wikipedia lese ich, dass Keuschheit von dem lateinischen Wort „Conscious“ herrührt, was „bewusst“ bedeutet. Das rückt den Begriff in ein völlig anderes Licht. Ein bewusster Umgang mit Sexualität und generell mit dem Leben halte ich durchaus als sinnvoll. Sexualität eben so bewusst zu gestalten, dass alle Beteiligten davon profitieren, Spaß haben, eben mit Lust und Freude genießen und entspannen können. Damit grenzt sich nach meinem Dafürhalten auch die Keuschheit von der Wollust, einer unwillkürlichen Beliebigkeit ab, die nur das körperliche, nicht aber das geistige Bewusste einbezieht. Keuschheit im Sinne von achtsamer Bewusstheit zu verstehen, empfinde ich als durchaus erstrebenswertes Lebensziel. Wie es die Franziskaner sehen, dessen bin ich mir noch nicht so ganz im Klaren.

Ich komme an ein Bach und überquere ihn auf abenteuerliche Weise auf dicken Steinen. Das weckt meine Erinnerung an die Grundschulzeit, wo ich die Abenteuer eher beim Anstauen eines nahen Bachlaufes sah, als in den Hausaufgaben.

Kurz hinter Pont D‘Assi treffe ich wieder die zwei Augsburger Pilger, die gerade mit einer jungen Pilgerin pausieren. Wir tauschen uns kurz über die heutige Streckenplanung aus. Ab dort begleitet mich die junge Pilgerin. Sie ist sehr offen und freundlich. Wir gehen gemeinsam bis zur Einsiedelei San Pietro in Vigneto. Dort gibt es gegen einen Spende Kaffee, Wasser und eine Übernachtungsmöglichkeit. Es tummeln sich bereits einige Pilger an diesem ruhigen, beschaulichen Ort. Unter anderem die Dänin, die italienische Frauengruppe und der Italiener mit dem ich bereits in Pietralunga das Zimmer teilte. Mir ist es als Tagesziel jedoch noch zu früh und ich gehe noch einige Kilometer mit der jungen Pilgerin. Sie teilte auf dem Weg ihre aktuelle Lebenskrise mit mir und ich war sehr dankbar, dass sie mir dieses Vertrauen schenkte, obwohl wir uns gerade erst begegneten.

Bachüberquerung auf Stelzen

Der Weg führte über einen bequemen Schotterweg zu einem Bachlauf, den ich auf Betonstelzen überqueren konnte. Der Anstieg auf der gegenüberliegenden Hangseite war eher lehmig und steil. ich hatte Mühe mit der jungen Frau Schritt zu halten. Wir gelangen an eine Abzweigung, wo sich unsere Wege trennen. Ihr Ziel ist rechter Hand ein Agriturismo und mein Weg führt nach links weiter in Richtung Valfabbrica. Wir verabschieden uns in der Zuversicht eines Wiedersehens in Assisi. Bestimmt werde ich dort alle Pilger dieses, ersten Streckenabschnittes wiedersehen. Für die meisten wird in Assisi die Pilgertour auch enden.

Mein Weg verläuft bis zur Chiesa di Caprignone recht entspannt. Dann endet der Weg und fällt bis zu einer Bachlauf ab. Dort erfrischen sich gerade die zwei Saarländer die Füße. Die beiden kommen mir bekannt vor, denn ich denke ich hätte sie bereits in Citta di Castalla gesehen. Einer von Beiden braungebrannt und der andere mit einer Haarpracht wie von Jürgen Drews. Ich passiere die Beiden und laufe auf lehmigem Weg bergauf zu einem Brunnen, den der Betreiber des nahegelegenen Bauernhofes wohl zu Gunsten der Pilger eingerichtet hatte.

Ich brauche erstmal eine Pause. Erfrische mich am Brunnen, wasche meine Kappe, die inzwischen einen unübersehbaren Salzrand hat und trinke aus dem Brunnen. Ich verspüre Hunger und greife auf meine Vorräte zurück: ein inzwischen vertrocknetes Weißbrötchen und Pecorino. Die zwei Saarländer kommen ebenfalls zur Erfrischung und wir kurz ins Gespräch. Sie laufen weiter und ich lege mich auf die Bank, um zu ruhen. Ich mag mich erholen und Kräfte sammeln, um weiterzukommen.

Nach meinem typischen 20 Minuten Powernap laufe ich weiter Richtung Biscina, wo ich auf eine Bar hoffe. Die Hoffnung wurde recht schnell von Jamie aus Vancouver zerstört. Er kommt mir entgegen und sagt, dass Biscina ein ganz verlassener Ort sei und die Bar wohl auch am Sonntag Nachmittag geschlossen sei. Aber ich könne dort sicherlich in der alten Burg mein Zelt aufschlagen. Mein Traum von einem gemütlichen Feierabendbier platzt in diesem Moment und ich richte mich auf einen einsamen Abend in meiner Hängematte ein. Als ich in Biscina ankomme, stand die Tür eines Gebäudes offen. Das gibt mir gerade Hoffnung, dass es mit der Versorgung vielleicht doch nicht so eng werden würde wie gedacht. Ich laufe auf die Türe zu und sehe wie die beiden Saarländer gerade mit der Inhaberin um ein Zimmer feilschen. Weiter war eine Theke im Raum und es gibt auch Bier.

Die kommenden zwei Stunden verbringe ich mit den beiden Saarländern, die beide bereits jenseits der 60 waren. Wir tauschen uns über Themen wie Vorruhestand, unsere Trennungen, den Jakobsweg und das wundervoll entspannte Leben in Italien aus. Es ist ein geselliger, lustiger Nachmittag. Von der Hilfsbereitschaft der Herbergsmutter sind wir alle begeistert. Selbst als ich mich von den Beiden verabschiede und noch ein wenig sitzen bleibe, um meine Notizen zu verfassen, spricht sie mich an und gibt mir unaufgefordert das Wifi Kennwort. Ich mag Menschen, die einfach sehen, was ihre Mitmenschen so brauchen, um ihnen unaufdringlich Unterstützung anzubieten.

Ich werde jetzt weiterziehen, um den Abend in keuscher Bewusstheit in meiner Hängematte zu verbringen und Kraft für die mit 15km kurze Etappe nach Valfabbrica zu sammeln. Dabei bin ich dankbar für die Hilfsbereitschaft und die Gemeinschaft der Pilger die alle ihr Päckchen tragen.

Pace e Bene.