Ich mag es Pläne zu machen und diese Umzusetzen. Beim Planen ist der Wissensstand ja durchaus ein anderer als bei der Umsetzung. So konnte ich nicht wissen, dass ich die Saarländer in Trevi treffen werde und wir noch gemeinsam einen netten Abend verbringen. Dabei entstand nun eine verlockende Situation, die mich verleitete von meinem Plan abzuweichen. In diesem Moment war mir die Gemeinschaft mit diesen fröhlichen, pilgernden Gesellen einfach wichtiger als an meinem Plan festzuhalten. Natürlich war mir bewusst, dass ich noch kein Lager für die Nacht hatte. Aber irgendwie richtet sich schon alles, wenn man auf dem Weg ist. Darauf vertraue ich.
Es war stockfinstere Nacht als wir auseinander gingen. Ich suchte die Markierungen des Weges und folgte ihnen in Richtung Pissignano in der Zuversicht auf dem Weg würde sich schon irgendwo eine angenehme ruhige Ecke finden, wo ich mein Nachtlager aufschlagen könnte. So verließ ich Trevi und freute mich über die Funktionstüchtigkeit meiner Stirnlampe. Sie spendete auf der abschüssigen Schotterpiste zumindest soviel Licht, dass ich nicht in einem Schlagloch versank oder stolperte. Ich pilgerte durch schemenhaft erkennbare Olivenhaine. Die mochte ich jedoch nicht als Lager nutzen, da es vermutlich Privatgrund ist und ich am kommenden Morgen nicht einem Rasenmäher zum Opfer fallen wollte.
Weder an der Kapelle Croce die Bovara noch an der privaten Benediktinerabtei San Pietro di Bovara fand ich ansprechende Lagerplätze. Ich irrte im Dunkel umher und fand kurz vor Pissignano einen geeigneten Platz nahe dem Tempietto sul Clitunno. Der Platz war einigermaßen eben, dunkel und aufgrund der großen Nadelgehölzen nicht einsehbar. Einzig ein Hund scheinte mich zu wittern und bellte sich die halbe Lunge aus dem Hals. Nachdem ich mein Lager aus Isomatte, Schlafsack und aufblasbarem Kopfkissen gebaut hatte, trank ich noch ein Bier und fiel trotz Hundegebell erschöpft in den Tiefschlaf. Zweimal wurde ich in der Nacht noch wach, schlief erfreulicherweise immer wieder ein.
Im Morgengrauen fühle ich mich erstaunlich erholt, räume direkt meine Sachen zusammen und ziehe los. Das was mir jetzt noch fehlt, ist ein kleines Frühstück. Bereits nach 1 km finde ich am Ortsausgang eine ansprechende Bar. Ich bestelle einen Cappuccino mit der doppelten Menge Kaffee zum Wachwerden und ein Käse-Schinken-Panini, um den kleinen Hunger zu stillen. Während ich mein Frühstück genieße, erfreue ich mich an dem frühmorgendliche Treiben in der Bar. Dort scheinen sich morgens Kollegen, Freunde und Bekannte zu treffen, um mit lebendigen Gesprächen ihren Arbeitstag zu beginnen.
Da ich in der Nacht noch ca. 5 km zurücklegte, hatte ich heute bis Spoleto nur noch knapp 20 km zu bewältigen. Um 7 Uhr fülle ich in der Bar noch meinen Wassersack auf und bemerke dabei, dass nicht nur in der Bar ein buntes Treiben war sondern auch in meinem Rucksack. Unbemerkt sind dort wohl gestern Nacht ein paar Ameisen eingezogen. Nicht schön, aber auch Ameisen sind Geschöpfe des Schöpfers und so will ich mich damit erst später auseinandersetzen und pilgere los. Auf den kommenden Kilometern passiere ich zahlreiche Plätze die als Nachtlager soviel heimeliger und geeigneter gewesen wären. Aber das konnte ich nicht ahnen als ich mein Nachtlager aufschlug und weitere Kilometer wollte ich um kurz vor Mitternacht auch nicht mehr begehen. Deshalb hadere ich auch nicht mit meiner Entscheidung.
Mir scheint der Reiseführer mag auf eine entsprechende Anzahl von Höhenmetern nicht verzichten. So lief ich erstmal leicht bergauf nach La Bianca. Von dort wieder hinunter nach nach San Giacomo. In der Jakobskirche bestaune ich den Freskenzyklus von Lo Spagna, einem Maler der Renaissance. In der Darstellung ist außer der Marienkrönung auch das Hahnenwunder von Santo Domingo de la Calzada vom spanischen Jakobsweg dargestellt. Ich staune, dass diese Fresken vor knapp fünf Jahrhunderten hier geschaffen wurden. Wieviele Menschen mögen diese Fresken in dieser Zeit gesehen haben? Was mag die Menschen in ihrer Zeit bewegt haben?
Pilgern ist ein spiritueller Biathlon: Erst Strecke zurücklegen, dann Innehalten beim Besuch einer Kirche oder eines anderen spirituelle Ortes und dann wieder Strecke zurücklegen. Am Ende des Tagens werden bloß keine Gold-, Silber- oder Bronzemedaillen vergeben.
Anschließend pilgere ich auf dem Damm des ausgetrockneten Torrente Marroggia weiter nach Spoleto. Ich komme zügig voran und passiere um 9h30 den Ortseingang von Spoleto. Der Weg führt recht stupide an einer Ausfallstraße durch die Vorortsiedlungen leicht bergan. Ich gehe in einen Supermarkt und kaufe ein Lebensmittel. Dabei beobachte ich mein Einkaufsverhalten. Überwiegend kaufe ich Lebensmittel die ich daheim weniger kaufe, dafür lasse ich andere die ich daheim eher kaufe im Regal. Es zieht mich zum Obstregal und ich kaufe Äpfel und eine Birne. Schokolade und Chips oder Nüsse bleiben im Regal. Scheinbar versteht mein Gehirn die Botschaften meines Körpers und lenkt mich. Ich wundere mich auch darüber, dass ich den ganzen Tag über nur wenig Nahrung benötige.
Weshalb ist das im Alltag so anders? Beschäftige ich mich mehr mit dem Essen und esse weil mein Tagesplan es vorsieht, wann ich esse und höre weniger auf meinen Körper? Oder esse ich im Alltag um mich zu belohnen oder aus Zeitvertreib? Also hier auf dem Weg reicht mir trotz körperlicher Anstrengung weniger Nahrung. Vielleicht nährt mich die geistige Inspiration und ich denke einfach weniger ans Essen. Ich weiß es eben nicht. Cola steht in der Regel nie auf meinen Einkaufsliste. Hier packe ich jedoch auch Softdrinks ein. Meine Einkäufe schleppe ich bis zum Stadttor von Spoleto. Dort ist ein Park der mich einlädt eine Pause einzulegen und die Birne und Cola direkt zu Verzehren.
Die Nacht im Konvent di San Francesco di Monteluca zu verbringen, stelle ich mir als inspirierendes Nachtlager vor. Ich steige immer weiter die Gässchen in Spoleto auf und besichtige den Dom, welcher schon zu Lebzeiten von dem heiligen Franz hier stand. Vielleicht habe ich gerade keinen Sinn dafür, aber einen bleibenden Eindruck hinterlässt die Innengestaltung nicht. Ich freue mich als ich die Wegezeichen in Richtung Monteluca sehe und folge dem Pfad, der mich erst auf einen Panoramaweg führt und dann über eine Brücke verlaufen würde. Eben „würde“, wenn diese Brücke, die Goethe bereits bei seiner Italienreise begeistert erwähnte, nicht seit dem Erdbeben 2016 gesperrt wäre.
Allein die Vorstellung hinunter ins Tal zu pilgern, um auf der gegenüberliegenden Hangseite erst auf gleiches Niveau und dann noch höher aufzusteigen, weckte keine Begeisterung. So laufe ich zurück in die Stadt ins Tourismusbüro, wo ich zuvorkommende Unterstützung in deutscher Sprache erfahre. Dieser Plan geht auf, der Mann im Tourismusbüro organisierte mir ein Zimmer bei den Schwestern des Kindes Jesu , wo ich ich direkt hinpilgere. Das Schwestern Kloster ist ein sehr friedlicher Ort, wo ich freundlich empfangen werde und nach alle Formalitäten mein Zimmer mit Dusche und WC beziehe. Ich wasche zuerst mich selbst und danach meine Sachen, bevor ich in den Tiefschlaf verfalle.
Der heilige Franz hatte auch Pläne. Nur allzu gerne wäre er durch Teilnahme am Kriegsdienst ein geehrter und geachteter Ritter geworden. So zog er mit einigen Adeligen aus Assisi in den in den Krieg und übertraf alle mit mit prunkvollen Kleidern und Waffen. Was auch immer auf den knapp 50 km zwischen Assisi und Spoleto passierte, hier in Spoleto bekam er Fieber und konnte nicht weiterreisen. Er verschenkte seine Rüstung und seine Waffen und kehrte unter Hohn und Spott zurück nach Assisi. Nun musste er umdenken und neue Pläne schmieden, um Anerkennung zu finden und gesehen zu werden.
Als ich aus meinem Mittagsschlaf erwache ist es bewölkt und ich höre die ersten Donnerschläge, obwohl es gemäß Wetterbericht heute gar nicht gewittert, sondern erst morgen. Das Wetter kann auch jederzeit meine Pläne beeinflussen. Einerseits will ich auf meinem Weg nach Rom vorankommen und gleichzeitig kann ich mir nicht vorstellen, die Steilhänge wie in den vergangenen Tage auch noch bei Gewitterregen zu bewältigen. Aber das ist ja erst morgen. Heute bin ich hier in Spoleto und mag zumindest ein paar Eindrücke von Spoleto aufsaugen. Ich habe einen Schlüssel für die Klosterpforte und kann jederzeit ein- und austreten. Ich gehe in eine Bar auf dem Marktplatz, bestelle ein Bier und genieße die Atmosphäre.
Pilgergruppen ziehen vorbei, Touristen gehen in die Snack Bar, um sich mit einem Getränk zu erfrischen. Regen setzt ein und mehr und mehr Menschen suchen Zuflucht in der Bar. Leider halten die großen Schirme nicht was sie versprechen und ich flüchte mich in den Innenbereich. Ich freue mich gerade, dass ich nicht stur an meinem Plan festhalte und ihn mit aller Gewalt umsetze sondern meine Pläne flexibel und agil an die Gegebenheiten anpassen kann. Genau mein Ding, denn so kann ich trotz veränderlicher äußerer Begebenheiten dennoch auf meinem Weg vorankommen.
Ich habe gerade noch keinen Plan, wie ich den Abend verbringen werde. Das ändert sich als ich über Whatsapp mitbekomme, dass die beiden Saarländer ebenfalls in Spoleto angekommen sind. Wir verabreden uns und treffen uns zum Abendessen in einer kultigen Kneipe.
Das Restaurant „Al 3.0 Bistrot“ wird von drei Frauen geführt. Eine kocht, eine bedient und eine serviert. Die Speisekarte hatte keine Preise, dafür umso interessante Gerichte. Ich nahm einen Salat mit Thunfisch und hausgemachte Tagliatelle mit hausgemachter Wildschweinsauce.
Meine Salatportion war reichlich groß und kreativ dekoriert. Die Tagliatelle war ebenfalls lecker und pikant abgeschmeckt. Kein Vergleich zu dem Restaurant in Trevi, wo der Salat ebenso lieblos serviert wurde wie das geschnittene Steak und die Preise „wegen Corona“ je Gericht 2€ teurer waren als auf der Karte angegeben. Wir erzählen von unserer Tagesroute. Da ich die Route durchs Tal wählte, war ich noch vor dem Regen in Spolento angekommen. Die Beiden liefen die hügelige Strecke und wären vom Hagelschauer überrascht worden, hätte sie nicht vorher ein Auto nach Spoleto mitgenommen.
Es war ein geselliger Abend und ich gehe zufrieden zu meiner Klosterherberge zurück. Pace e Bene.